Piräus, Peloponnes und dann Pylos

Eins hab ich vermisst diesen Sommer: das Lachen und Kreischen der Möwen. Mein Käpt´n fragt sich, ob diese Spezies in Griechenland heimisch is´, aber hier gibt das doch so viele Fischerboote, denen fliegen Möwen so gerne hinterher. Schon Aristoteles hat Möwen beobachtet, und auch Odysseus soll den Küstenvögeln auf seinen Irrfahrten begegnet sein. Immer wieder wandert der Blick meiner Steuerfrau suchend zum Himmel, oder über die Felsen und Inselchen, auf denen Vögel so gerne rasten.

Mein Käpt´n schaut nach dem Autopiloten, ersetzt die dünnen Originalkabel zur Hydraulikpumpe durch dickere, klemmt anständige Kabelschuhe an. Doch kaum haben wir uns auf den Weg gemacht, steigt der Autopilot wieder aus. Zum Glück bläst der Meltemi, strafft meine Segel und hält mich auf Kurs zum Kap Sounion, wo Poseidon von seinem Tempel aus weit übers Meer blickt.

Nach ´ner beschaulichen Nacht bitten wir den Meeresgott der alten Griechen um Schutz. Aber auf dem kurzen Törn nach Glyfada flucht meine Steuerfrau vor sich hin, das is´ Flaute, sie musste meinen Motor anschmeißen. Drei Strich Backbord, zwei Strich Steuerbord, das Steuern braucht pausenlos volle Aufmerksamkeit, Klönschnack mit dem Käpt´n oder den Wolken hinterher träumen is´ nich´. Als sie kurz auf den Plotter schaut, um Kurs und Geschwindigkeit von ´nem Frachter zu checken, der uns entgegen kommt, lauf ich aus dem Ruder, dabei will ich doch gar nich´nach Afrika. ´N büsch´n Wind hätte Poseidon ruhig schicken können!

In der Bucht von Athen fällt mein Anker vor einem Park mit Restaurantterrassen, bald schaukel ich einsam vor mich hin. Meine Crew hat mein Beiboot vorm Yacht Club festgemacht, will an Land Ersatzteile besorgen, denn auch mein Wassermacher is´ futsch. Kaffee und Tee wird an Bord nu´ mit Mineralwasser gekocht, geduscht wird erstmal nicht.

Der späte September is´ heiß, die Stadtluft abgasschwer und klebrig, das trübe Meer lädt nich´ zum Schwimmen ein. Aber die Nächte sind unterhaltsam: Einmal Hochzeitsfeuerwerk über´m Restaurant, öfter mal Motorradrennen auf der Küstenschnellstraße. Das Geknatter und Geknalle der Maschinen verstummt, wenn rotes Blinken Drohnen verrät, die zwischen den Lichtpunktreihen der Straßenlaternen umherschwirren. Sind wohl Polizeispione, kaum sind sie verschwunden, röhren die Motorräder wieder um die Wette.

Bin froh, als mein Wassermacher repariert ist und ich nach vier Stunden Motorfahrt im Schatten hoher Hügel vor Nisos Aegina liege. Die Insel mitten im Saronischen Golf hat kaum geschützte Buchten, der Schwell holt meine Crew früh am Morgen aus der Koje. Nordwest kommt auf, wir segeln gen Süd, meine Steuerfrau blickt mal wieder sehnsüchtig zum Land, zur Nachbarinsel Nisos Moni, wo Ankern bei Nordwind ungemütlich wäre. Hirsche und Pfauen soll das da geben, wie sind die da bloß hingekommen?

Die neue Hydraulikpumpe is´ in Deutschland bestellt, wir warten im Süden von Nisos Poros, trinken manchmal Kaffee im quirligen Hafenstädtchen gleichen Namens. Mit Blick aufs Festland des Peloponnes liegt Yacht an Yacht römisch-katholisch am kilometerlangen Kai, aber ich döse in Ormos Dhaskalia vor mich hin, vor Landleinen, mit Blick auf einen schmalen Strand. Das Meer ist glatt wie ein Tümpel, manchmal dreht eine einsame Möwe ihre Runden, einmal sehen wir sogar zwei, auf dem Inselchen mit der lütten Kirche. Morgens taucht ab und an ein Kormoran auf, jagt Fische, hier gibt das noch welche.

Skurrile Nachbarn werfen ihren Anker. Ein zweiundfünfzig-Fuß-Katamaran unter US-Flagge, dessen Skipper meint, ich nähme zu viel Platz weg. Er will wohl auch gerne vor dem Strand liegen, wo meine Ruthie das Paddelboard parkt und die Böschung zur Landstraße hochkraxelt. Kaum is´ der Kat weg, kommt ´ne fette Motoryacht, die wie ´ne Wodka Marke heißt. Von morgens bis abends volle Pulle Techno, da steht meine Crew nich´ auf. zum Glück verzieht sich der Freudendampfer nach zwei Tagen, sonst hätte das Weck-Rock zum Fühstück gegeben, ACDC, Highway to Hell. Nu´ kann meine Crew kann das Buchtenleben wieder genießen, und nach neun Tagen warten kommt endlich die neue Hydraulikpumpe.

Der Meltemi erhebt sich früh, auf geht´s zu meinem Winterliegeplatz. Kurz vor Sonnenuntergang segeln wir sechzig Seemeilen weiter südlich um ´ne Landzunge, sind müde, freuen uns auf ´n ruhigen Abend in Palaia Monemvasia. Stattdessen bekommen wir kräftig auf die Mütze. Fallwinde rutschen die Berge am Nordufer der weiten Bucht runter, knallen in meine Segel, bringen mich bannig in Schräglage. Schleunigst holt meine Crew das Großsegel ein und refft die Genua. Trotzdem hab ich immer noch soviel Krängung, dass die Wellen, die der Wind uns vom Ufer her entgegen schleudert, über meine Deckskante klatschen. Nach ´ner viertel Stunde fällt mein Anker und greift beim ersten Versuch. Nachts wird das ruhiger, aber noch vor dem Frühstück huschen wir um die Halbinsel Monemvasia, bestaunen im Vorübergleiten das anderthalb Jahrtausende alte Festungsstädtchen, das sich hinter dicken Mauern an die Felsen drückt.

Moni Emvasia (μόνη εμβασία) bedeutet »Einziger Zugang«, der Ort war lange Zeit eine freie byzantinische Stadt, die vielen Belagerungen standhielt. Fiel dann den Franken in die Hände, den Osmanen, den Venezianern, kurzzeitig sogar einem katalanischen Seeräuber, der die Festung bald den Römern überlassen musste. Bis zum Aufstand der Griechen gegen die Osmanen in den 1820er Jahren nannte man ihn auch „Gibraltar des Ostens“, heute ist Monemvasia ein Freiluftmuseum, in dem ein paar alte Leute die Stellung halten, umringt von Hotels, Wochenendhäusern, Bars, Restaurants und Souvenirläden.

Vor der Brücke zwischen dem Festland und der Halbinsel ist Ankern erlaubt, doch wir legen im kostenlosen Stadthäfchen an, längsseits, mitten am Kai der östlichen Außenmole. Möwen gibt das auch hier keine, trotz der Fischerboote, wenn das nich´ so traurig wäre, würd´ ich mich da ja über freuen. Keine Möwen, keine Möwenkacke.

„Ruthie, komm schnell!“, ruft mein Käpt´n, der achtern an der Reling steht und aufs Wasser zeigt. Meine Steuerfrau sputet sich. Ihr Herz beginnt zu klopfen, als sie die Meeresschildkröte entdeckt. Bannig alt muss die sein, is´ größer als mein Rettungsring. Langsam paddeln ihre kurzen, dicken Reptilienbeine, ihr Panzer ist mit Algen bewachsen. Sie knabbert eifrig an der Kaimauer, arbeitet sich in dem schmalen Spalt zwischen meinem Rumpf und der Mauer voran. Kümmert sich nich´ um meine Crew, die ihr an meine Reling gedrängt folgt, sie nicht aus den Augen läasst, bis sie meinen Bug erreicht hat und davon schwimmt.

Später, am Nachmittag, sieht mein Käpt´n mitten im Hafenbecken zwei Schildkrötenköpfe aus dem Wasser lugen. Meine Steuerfrau ist nach Monemvasia aufgebrochen, wollte zur Oberstadt, wo Reste einer mittelalterichen Burg und eine Kirche stehen. Schaut sicher schon vom höchsten Punkt der Halbinsel zu mir runter, schüttelt den Kopf, weil dieser schöne Ort so viele Kriege erlebt hat. Denn friedlich währt am längsten, das beweisen die Schildkröten, die seit den Zeiten der Dinosaurier die Meere bewohnen.

Die Kapitänin der Nausikaa schickt ´ne Nachricht, fragt, ob wir schon ums Kap Malea rum sind. Dort begann die Irrfahrt des Odysseus, der wollte nur kurz um den Peloponnes rum, nach Ithaka, doch am Kap Malea riss die windgepeitschte See ihn fort. Gen Afrika, zur den Lotusessern auf der Insel Djerba. Odysseus kannte weder Wetterradar noch Wettersatelliten, sonst hätte er das sicher wie die Berufsschifffahrt gemacht, die heutzutage bei Starkwind das Kap Malea meidet und den Umweg um die Insel Kythira in Kauf nimmt. Meine Crew checkt die Windy App und bei ruhigem, klarem Wetter tuckern wir um den sagenumwobenen südlichsten Zipfel des europäischen Festlands.

Noch zwei Ankerpätze, dann werden wir am Ziel sein. In Agios Elena, an der Südküste von Nisos Elafonisos, trifft ein Meer wie Aquamarin auf hellen, von Dünen gesäumten Sandstrand. Wir haben Glück, der Südwest schiebt erst ab drei Uhr morgens Welle in die Bucht, um vier lichten wir den Anker. Umrunden den mittleren Peloponnesfinger, wo am Kap Tainaran die See ´n büsch´n rauer wird. Nehmen Kurs Nordnordwest, auf den ersten Peloponnesfinger zu. Der Wind gibt sich launisch, bläst mal munter, schläft dann wieder ein. Gewitterfronten ziehen uns entgegen, dunkle, bauchige Wolken, manche driften ab nach West, andere nach Ost. Über uns bleibt der Himmel hell.

Ich bin ein wenig wehmütig, als wir mit Blick auf die venezianische Festungsanlage, die Methoni vom Ionischen Meer trennt, die letzten Nächte vor Anker liegen. Das Meer ist klar, das Örtchen beschaulich, gerne würden wir länger bleiben. Doch im nur acht Seemeilen entfernten, kostenlosen Stadthafen von Pylos ist gerade ein guter Platz frei. Freunde, die schon ein Weilchen dort liegen, raten uns, nich´ zu trödeln. Kurz vor Pylos, als wir zwischen der Insel Sfaktiria und dem Leuchtturm in die weitläufige Bucht von Navarino tuckern, sehen wir zum ersten Mal in diesem Jahr einen kleinen Schwarm Möwen.

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Glossar

Aristoteles – beobachtete auch das Aussehen und Verhalten von etwa fünfhundert Tierarten, das er in seinem neunbändigen Werk „Historia animalium“ („Geschichte der Tiere“) beschrieb.

Hydraulikpumpe -ist durch T-Stücke an die beiden Schläuche der Steuerungsanlage angeschlossenund mit dem Kurscomputer verbunden (meist mittels NMEA2000-Schnittstelle), der über die Pumpenaktivität das Ruder bewegt.

Meltemi – in der Ägäis vorherrschender Wind aus dem Nordquadranten

Glyfada – Stadt südlich von Athen an der Westküste von Attika

Plotter – Kartenplotter: Schiffsnavigationsgerät (GPS), das auf einem Display eine eletronische Seekarte anzeigt, auf der Position und Route des Schiffes zu sehen sind. Über das Automatische Identifikations System (AIS) können Schiffe in der Umgebung angezeigt werden, z.T. mit Information zu Kurs, Geschwindigtkeit oder z.B. Schiffslänge. Das Display kann als Radarbildschirm genutzt werden, der Werte anzeigen, die Echolot und Windmesser geben.

Saronischer Golf - Golf im Norwesten der Ägäis, auch Golf von Ägina genannt.

Nisos Aegina – Insel Ägina

Nisos Moni – Insel Moni

Nisos Poros – Insel Poros

Schwell (oder Dünung) -Wellen, die aus ihrem Entstehungsbereich herausgelaufen sind oder von vorbeifahrenden Schiffen verursacht werden, und in einen Hafen oder ein Bucht laufen. Im Gegensatz zur Windsee, die entsteht, wenn der Windd auf die Wasseroberfläche trifft. Schwell + Windsee = Seegang

Verkehrtrennungsgebiet – kanalisiert an Engstellen oder Kaps einen Schifffahrtsweg in unterschiedliche Fahrtrichtungen

römisch-katholisch anlegen – erst den Buganker werfen, dann rückwärts am Kai anlegen und Backbord und Steuerbordleine legen. Die Ankerkette liegt dabei in der Verlängerung der Längsachse des Schiffes oder Bootes.

Ormos Dhaskalia – Dhaskalia Bucht, an der Südküste der Insel Poros

zweiundfünfzig-Fuß-Katamaran – ca. 16m langes Schiff mit zwei Rümpfen, die fest miteinander verbunden sind.

Skipper – verantwortliche Boots- oder Schiffsführerin der Freizetschifffahrt.

Palaia Monemvasia – bucht m Norden der Halbinsel Monemvasia, an der Ostküste des östlichen Peloponnesfingers

bannig – sehr

Krängung – seitliche Neigung eines Schiffs

Nausikaa -befreudnete Segelyacht

Ithaka – griechische Insel im Ionischen Meer, Heimat des Odysseus

Windy App – Wetter App für Segler und SurferInnen

Agios Elena – Bucht der Insel Elafonisos

Nisos Elafonisos – Insel westlich des Kap Malea

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Endlich wieder Meilen machen

Immer nur Delphinsprünge von einer Bucht zur andern, seit Ende Juni ankern wir mal hier, mal da, und das is´ schon fast September. Die nördlichen Sporaden sind man bannig schön, aber ich bin doch kein Hausboot! Wird Zeit, dass ich endlich Meilen mache.

Aber erst mal kommt Besuch, den wir in Volos abholen, also nehmen wir Kurs auf den Pagasitischen Golf.  Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen, als mein Anker in Ormos Alogoporos fällt, gegenüber der Insel Trikeri, zu der bis spät abends ein Wassertaxi schippert. Doch am nächsten Morgen zeigt die Welt sich duster, und auch während die Sonne höher steigt bleibt die Silhouette der Berge im Norden hinter einem grauen Schleier verborgen. Nebel sieht anders aus, mein Deck ist bald von einer grauen, schmierigen Schicht bedeckt. Denn der Meltemi bringt Asche aus Nordost, wo seit zwei Wochen ein verheerender Waldbrand wütet, im Dadia Nationalpark Tiere und Pflanzen in Rekordzeit frisst. Über dreihundert Kilometer entfernt liegt die Gegend an der Grenze zur Türkei, aber meine Ruthie macht alle Luken dicht und bleibt im Salon, denn an Deck kann von frischer Luft keine Rede sein.

Drei Tage später geht das gen Norden, der wolkenlose Himmel ist noch immer grau statt blau. Kurz vor Volos gleite ich durch Grüppchen von Spiegeleiquallen, viele sind bratpfannengroß. Auch auf dem Rückweg zu den Sporaden, als unser Besuch schon an Bord is´, treffen wir noch vereinzelt auf diese Überlebenskünstler, die das Meer seit Urzeiten bewohnen. Das Nesselgift von Spiegeleiquallen ist für Menschen ungefährlich, die kuriosen Wesen sind sogar essbar. Wer schwimmen will dreht nun trotzdem vorher ´ne Runde an der Reling und linst ins Wasser.

Meine Crew hat sich verdoppelt, da freu ich mich über, das gibt dem Bordleben Schwung.  Bald zieht uns das nach Skopelos, wo das bei Neo Klima so schön nach Wald duftet. Die Vicktory  lässt nich´ lange auf sich warten, ihr Anker fällt Steuerbord voraus.  Mein Käpt´n bleibt an Bord, während der Rest meiner Crew und der Käpt´n der Vicky die Insel mit dem Scooter erkunden. Glossa, das hübsche Bergdörfchen, und Skopelos Stadt, wo die Yachten am Kai wie Flummis auf und ab hüpfen, wenn Fähren kommen und gehen.

  • https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons)/4/4b/Spiegeleiqualle.jpg

Zwei Sonnentage sind uns gegönnt, dann is´ Tief Daniel im Anmarsch. Zum Glück liegt nur zwei Seemeilen südlich von Neo Klima ein Naturhafen. Limani Panormos, am Südufer von Ormos Panormos, ist ein Ort wie von Zauberhand geschaffen. Pinien reichen bis ans seichte Ufer, wo überall Felsbrocken aus dem Wasser ragen, die darauf warten, dass die Tochter vom Käpt´n mit meinen Landleinen zu ihnen schwimmt. Fische huschen um mich rum, ein kleiner Schwarm Brandbrassen natürlich, und ein paar Streifenbrassen. Möwen gibt das keine, aber fast jeden Morgen jagt ein Kormoran in Ufernähe, reckt den langen Hals, steckt dann den schwarzen Kopf mit dem langen Schnabel suchend ins Wasser, taucht ab und sein Hinterteil is´ das Letzte, was verschwindet. Einmal hockt er ganz in der Nähe auf ´nem Felsen und trocknet in aller Ruhe seine Flügel. Meine Ruthie is´ hin und weg, legt das Fernglas nich´ mehr aus der Hand.   

Tief Daniel wird zum Gewittersturm, das regnet ununterbrochen, blitzt und donnert pausenlos. Meine Crew bemüht sich redlich um gute Laune, schiebt Ankerwache, Schichtwechsel alle zwei Stunden, sind ja zu viert. Wir haben die Blitze nich´ gezählt, die Feuerwehr in Volos schon: zwölftausend in einer Nacht.  

´Ne Woche is´ schnell rum, bevor der Sturm abgeflaut is´, hat unser Besuch schon die Rucksäcke gepackt.  Der Rückflug startet von der Nachbarinsel Skiathos, doch alle Fähren sind gestrichen. Endlich darf ich mal zeigen, was ich kann, bin ja für raues Wetter gebaut. In Limani Panormos scheint das ruhig, aber wie das wohl um die Ecke aussieht? 

´Ne viertel Stunde später, als wir aus Ormos Panormos raus getuckert sind, bleibt das Großsegel drin und meine Crew setzt nur die Genua. Im zweiten Reff. Is´ ja wenig Tuch,  aber ich mache sechs Knoten, genieße den Wind umme Schnut und die Schräglage, während der Sohn vom Käpt´n mich steuert. Rüber nach Skiathos Stadt sind das neun Seemeilen, wir segeln in der Abdeckung von Skopelos. Nur auf den letzten drei Seemeilen rollt die Welle von der offenen See her auf mich zu, manch eine um die vier Meter hoch. Meine Crew refft nochmal, die Genua is´ nur noch ein lütter Zipfel.

Mein Anker fällt westlich von Skiathos Stadt, wo einige Boote vor Landleinen liegen und der Schwell sich in Grenzen hält. Im Hafen lieg ich ja nich´ gerne, und außerdem is´ das da voll. Mit dem Beiboot schippert meine Crew um ´ne kleine Landzunge, geduckt gegen die Welle an. An Land, in Hafennähe, sind die Straßen voller Schlamm, ausgerissener Bäume und Unrat, öffentliche Busse fahren nich´. Mit Rucksack und Tasche bepackt stapft unser Besuch zum Flughafen.

Das is´ still geworden an Bord, meine Crew is´ betrübt. Aber nu´ soll das ja gen Süden gehen, um den Peloponnes rum zu meinem Winterplatz, nach Pylos, wo meine Freundin Frieda liegt. Die hängt mich immer ab beim Buddysegeln, is´ ja auch´n Katamaran, ´ne flotte Catana. Noch schnell die gewaschene Wäsche abholen und einkaufen, dann stechen wir in See. Doch ich laufe immer wieder aus dem Ruder, mein Autopilot streikt und auch das Anemometer gibt seinen Geist auf. Aber der Meltemi bläst und bringt uns unbeirrt nach Skyros, mit der Welle aus Nordnordost, von schräg achtern, surfe ich munter dahin. Später dreht der Meltemi auf Ost, die Welle kommt von Backbord und schwappt immer mal wieder in die Plicht. Ich frag mich, warum meine Crew nich´ refft, die zwei sind irgendwie entspannter als sonst, liegt wohl an dem kaputten Anemometer.

Die südlichste Insel der nördlichen Sporaden empfängt uns mit sechs Beaufort, doch mein Anker greift beim ersten Versuch in Ormos Pefko. Jetzt, Mitte September, hat das Meer um Skyros rum nur noch achtzehneinhalb Grad. Die ersten Herbststürme sind schon übers Land gezogen, abends hat meine Crew Fleecejacken an, auch Morgens, vor dem Frühstück, als die zwei verschlafen in der Plicht hocken. Merken die denn nich´, dass ich durch die halbe Bucht rutsche, dass mein Anker slippt?

Als die Felsküste schon gefährlich nah is´, kommen die zwei endlich in die Puschen und lichten den Anker. Versuchen mehrmals, an der zehn Meter Linie nochmal Halt zu finden. Vergeblich. Um das schmale, längliche Inselchen Valáxa rum wär´n das acht Seemeilen in die nächste Bucht, die letzten vier bei über dreißig Knoten gegen den Wind an, also tuckern wir durch die enge Durchfahrt zwischen dem Festland und Valáxa nach Ormos Linaria. Dort liegt schon ´ne  lütte Segelyacht unter ukrainischer Flagge vor Anker. Ihre Kapitänin is´ auf dem Vordeck, beschließt wohl, das winzige Dinghi nich´ zu Wasser zu lassen, hat ja auch keinen Außenborder, und gegen an rudern bei dreißig Knoten is´ keine gute Idee. Meine Crew schippert rüber, als sie zu dem hübschen Hafenstädtchen Linaria aufbricht, nimmt die Einhandseglerin in meinem Dinghi mit. „Wenn im Land Krieg herrscht, is´ das gut, ein Segelboot zu haben“, sagt meine Ruthie beim Kaffertrinken in der Strandbar.

Punkt neun holt mein Käpt´n am nächsten Tag meinen Anker auf. Während meine Steuerfrau mich aus der Bucht lenkt, schaut sie mal wieder sehnsüchtig zum Ufer hin, wo der Bus in den Norden der Insel abfährt. Landgang abgesagt, der Wetterbericht hat sich geändert, der perfekte Segelwind kommt einen Tag früher. Meltemi, was denn sonst.

Von Skyros bis zur Südwestspitze der Insel Euböa, das is´ kein Delphinsprung, sondern unser längster Schlag dieses Jahr. Glücklich lasse ich mich von der Welle schieben, am Ende des Tages durch den Steno Kafira, zwischen Euböa und der Insel Andros. Zwei bis drei Knoten Strömung sind in der zehn Seemeilen langen Wasserstraße alltäglich, bei starkem Meltemi können das bis zu sieben Knoten werden. Kein Wunder, dass ich meinen Geschwindigkeitsrekord aufstelle: mit 10,8 Knoten rausche ich dahin, in der Spitze natürlich, immer nur für ein paar Sekunden. Für die beinah sechzig Seemeilen brauche ich neun Stunden, kurz vor Sonnenuntergang huschen wir nach Ormos Castri rein. Mit einmal is´ das ruhig und still, die See glatt wie ein Spiegel in der lütten Bucht, die sich zwischen kahle, sanft abfallende Hügel schmiegt, auf denen hier und dort ein weißes Haus in der Abendsonne leuchtet.

Tschüs, Nördliche Sporaden, hoffentlich sehen wir Euch bald wieder!

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Glossar

Ormos Panormos – Panormos Bucht

Limani Panormos – Hafen von Panormos

Meltemi – kräftiger Nordwind (meist aus Nordost kommend, auch mal aus Nordwest), der in den Sommermonaten in der Ägäis vorherrscht

Genua – vergrößertes Vorsegel eines Segelbotes (im Gegensatz zur Fock). Wenn die Genua ganz ausgerollt ist, befindet sich ihr Achterliek (hinterste, unterste Spitze) hinter dem Mast. Lobstys Genua ist größer, als ihr Großsegel .

zweites Reff – bei starkem Wind wird die Segelfläche durch Reffen verkleinert, um Druck aus dem Segel zu nehmen-Andernfalls geht das Boot zu sehr in Schräglage (es krängt). Zu hohe Krängung beansprucht Boot und Segel unnötig, denn sie verringert die Geschwindigkeit und kann zum Verlust der Ruderwirkung führen, im Extremfall sogar zum Kentern.

sechs Knoten – 11,112 km/h

Schwell – auch Dünung genannt: Wellen, die aus ihrem Ursprungsgebiet herausgelaufen sind, oder von vorbeifahrenden Schiffen verursacht werden, und in einen Hafen oder ein Bucht laufen.

Katamaran – Segelyacht mit zwei Rümpfen, die fest durch ein Tragdeck miteinander verbunden sind.

Catana – französische Werft, die im 1984 gegründet wurde. Catana Katamarane gelt als qualitativ hochwertige, leichte, schnelle Yachten.

Anemometer – Windmesser

sechs Beaufort – nach der Beaufortskala: 39 – 49 km/h

Ormos Pefko – Kiefernbucht

Ormos Linaria – Bucht von Linaria

Einhandseglerin – Frau, die alleine mit einer Segelyacht unterwegs ist

Euböa – zweitgrößte Insel Griechenlands, liegt in der Ägäis.

Andros – Insel in der Ägäis, súdlich von Euböa

ein Knoten – 1,852 km/h

Ormos Castri – Schloßbucht

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Das Foto der Spiegeleiqualle ist unter folgendem Link zu finden: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons)/4/4b/Spiegeleiqualle.jpg

Meltemi und Mönchsrobben

Oh, was freu ich mich auf die nördlichen Sporaden! Sporadikos (σποραδικός) bedeutet verstreut, über hundert Inseln und Inselchen sind das. Flechten, Felskrabben, Eidechsen oder Ziegen sind dort zu Hause. Hin und wieder eine windschräge Trauerzypresse, die sich an eine Felswand krallt und natürlich Kiefern. Im Meer wohnen Muscheln, Algen oder Seeigel am Fels, ab und an auch ein raffinierter Oktopus in ´ner Nische, Seepferdchen oder Seesterne leider kaum noch. Menschen leben vor allem auf den größten Sporadeninseln, auf Skiathos, Skopelos und Alonnisos , und auf Skyros, einen Segeltag weiter südlich. 

Meine Steuerfrau checkt die Navily App, liest Kommentare von anderen Seglern zu den Ankerbuchten der Inseln, stolpert dabei über ein Foto. ´Ne Robbe auf´m Paddleboard! Im Hafen von Patitiri, der Hauptstadt von Alonnisos. Die Insel ist Teil des größten Naturschutzgebietes des Mittelmeers, wo Mönchsrobben in einem besonders geschützten Bereich leben, aber die tauchen doch ab, wenn sie Menschen nur von Weitem sehen! 

Vom Pagasitischen Golf nach Skiathos is´ das nur ein Delphinsprung. Da wir gegen den Meltemi an kreuzen, der uns im Euböakanal mal wieder als Ostwind entgegen rauscht, sind die fünfundzwanzig Seemeilen an einem Tag nicht zu schaffen. Abends fällt mein Anker in Chondri Ammos, is´ kaum noch Platz in der Bucht, ich lieg in der Mitte, wo meine Kettenlänge gerade mal reicht. Zum Glück schlafen Wind und Welle ein, während die Sonne den Steinbruch gegenüber schönmalt, bis die Nacht alles Licht verschluckt.  

Auch am nächsten Abend haben wir Dusel, der Meltemi beruhigt sich kurz nachdem wir Ormos Matraki, an der Südwestküste von Skiathos, im Zickzackkurs erreicht haben. Kristallklares Wasser hier, das Relief des Sandgrunds is´ deutlich zu erkennen. Der Käpt´n der Victory schickt ´ne Nachricht, er kommt von der Nachbarinsel Skopelos rüber. In meiner Kombüse duftet das nach Aubergineneintopf, als der Anker der Vicky sich zwischen mir und der steil abfallenden Felsküste in den Grund gräbt. Kurz darauf macht ihr Käpt´n sein Dinghi achtern fest und springt auf meine Badeplattform.

Früh am Morgen schon wieder Anker auf gehen, so hab ich das gern. Der angesagte Meltemi erhebt sich gerade, am Vormittag soll er schon wieder einschlafen. Meine Steuerfrau wirft einen letzten Blick zum Sandstrand mit der Robinson Crusoe Bar. „Nächstes Mal, Lobsty!“, flüstert sie und lenkt mich leicht nach Backbord, damit meine Ankerkette locker hängt und der Käpt´n, der am Bug steht, sie besser einholen kann. „Nächstes Mal guck ´ ich hier nach Fischen. Und ich geh´ an Land.“          

Kaum sind meine Segel draußen, rausche ich Kurs Nordnordost. Als wir die Nordwestspitze von Skiathos erreichen, hat die Vicky, die etwas später los is´, mich längst überholt. Ihr Gennaker bauscht sich vorm Bug, ein leuchtend roter Punkt auf tiefem Blau weit draußen. ´N büsch´n neidisch bin ich ja schon, auch wenn ich das ungern zugebe. Manchmal fühl ich mich wie ´ne lahme Ente,  wär´ ich doch bloß schneller! Jedes Mal, wenn ich die sieben Knoten Grenze knacke, jubelt meine Crew. Die Vicky beschleunigt im Handumdrehen auf sieben Knoten, braucht mit ihrem Leichtwindsegel gerade mal zehn Knoten Wind dafür. Und mit Groß und Fock kommt sie auch bei drei Beaufort  gut voran. Mit meinen zwanzig Tonnen kann ich da nur von träumen. Gegen ein so sportliches GFK-Leichtgewicht komm ich nich´ an. Bei drei Beaufort mach ich höchstens mal drei Knoten, aber nur mit dem Wind von querab oder achtern.  

Bald ist die Westküste von Skopelos in Sicht. Im näherkommen weht uns Pinienduft entgegen, scheint allen Poren der Natur zu entströmen, sogar dem Meer und den Inselchen, die wir kurz vor Neo Klima umschiffen. Meine Steuerfrau is´ hin und weg von der grünsten Insel Griechenlands, selbst die höheren Hügel sind über und über von dichten Kiefernwäldern bedeckt.  Kein Wunder, das Skopelos einer der wichtigsten Rastplätze für Zugvögel is´, die aus Afrika kommen.             

Einige Tage liege ich im Schutz einer kleinen Insel, dann is´ Starkwind  im Anmarsch. Vicky und ich kreuzen gegen den Meltemi nach Alonnisos, das nordöstlich von Skopelos liegt. Im lütten Naturhafen von Votsy ist das Meer glatt wie ein Spiegel. Boote liegen dicht an dicht vor Landleinen, das is´ gerade noch Platz für zwei. Ankern war keine gute Idee, beim Schnorcheln sieht meine Steuerfrau, dass die Ankerketten der Boote vor Landleinen fast die ganze Breite des Hafens einnehmen. Sollte mein Anker slippen, könnten wir von bannig Dusel reden, wenn er in einem der zwei ausgedienten, algenbewachsenen Anker oder den gammeligen Leinen am Grund hängen bliebe. Sonst gäbe das Kettensalat.

In der Nacht knallen mir aus Nordwest Böen über zwanzig Knoten auf den Bug, meine Crew macht abwechselnd Ankerwache. Auch auf der Vicky hält der Käpt´n Wache, nickt ab und an in der Plicht ein. Als das endlich dämmert, tuckert meine Crew mit mir um die Ecke nach Ormos Milia. Nun kann ich seelenruhig um meinen Anker schwojen, und da der Meltemi über Land kommt, rollt kaum Schwell in die Bucht.

Meine Ruthie schnorchelt und freut sich über Brandbrassen und Streifenbrasssen. Und ´nen Tag später traut meine  Crew ihren Augen kaum, als ´ne Moana 38 neben mir den Anker wirft. Anastasia II heißt die, und is´ sozusagen ´ne kleine Schwester von mir. Beim Klönschnack in ihrer Plicht erzählt ihr Käpt´n traurig von der Mönchsrobbe Kostis, die sich gerne auf der Badeplattform der Anastasia gesonnt hat. Meiner Steuerfrau geht ein Licht auf. Das Foto in der Navily App! Uns hätte das auch gefallen, wenn sich mit einmal so ´ne seute Robbe genüsslich achtern in der Sonne geräkelt hätte. Kostis war oft im Hafen von Patitiri, um Paddelboards oder Badeplattformen auszuprobieren. 2018, nach dem Medicane Zorbas, wurde er von einem Fischer gefunden, war noch ein Baby, hatte seine Mutter verloren. Die MOM pflege ihn gesund und wilderte ihn aus. Bald war er das Maskottchen des Meeresnaturparks, wurde berühmt in ganz Griechenland, denn er hatte keine Angst vor Menschen, suchte auch Kontakt zu Tauchern.       

„Ich glaube, er wollte einfach nur Liebe teilen, sogar umarmt hat er mich“, sagt Nikos Vardakis von Ghost Divers Greece in einem Podcast von Ocean Crime.    Seine Zutraulichkeit kostete Kostis das Leben, 2021 fand man ihn mit dem Pfeil einergroßen Harpune zwischen den Augen an einem Strand. Die MOM setzte achtzehntausend Euro Belohnung aus. Wer könnte ein Motiv haben, einen so harmlosen Meeressäuger zu ermorden? „Die fressen zu viel Fisch!“, soll ein Fischer gesagt haben. Und viele Fische hat meine Steuerfrau beim Schnorcheln ja auch auf den Nördlichen Sporaden nich´ gesehen. Wie lange ´ne Robbe wohl jagen muss, um satt zu werden? Würde mich nich´ wundern, wenn die Tiere öfter mal mit knurrendem Magen die Jagd aufgeben.  Da kann so ein Netz, das ein Fischer quer durch ´ne Bucht gespannt hat, ungemein verlockend sein. Beute satt! Wusste der Mörder, der eine anderthalb Meter lange Harpune dabei hatte, wie zutraulich Kostis war? Er hat ihn sicher näher gelockt, um den präzisen Schuß abzufeuern, weil er meinte, Kostis hätte bei seinen Netzen nichts zu suchen. Und das mitten im Naturpark, wo die Mönchsrobben unter Schutz stehen. Doch nur die Insel Piperi und drei Seemeilen drum rum sind den mehr als fünfzig Tieren alleine vorbehalten. Im Meer ist es eng.

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Glossar

Sporadikos – griech. σποραδικός „verstreut“

Naviliy App – App, die es Seglern ermöglicht, Information über Ankerbuchten und Häfen auszutauschen.

Meltemi – Nordwind, der in den Sommermonatenin der Ägäis vorherrscht

Euböakanal – Kanal zwischen der Insel Euböa und dem Festland von Thessalien, bzw. der Halbinsel Magnesia

Chondri Ammos – Bucht an der Südküste der Halbinsel Magnesia

Kettenlänge – je länger die Kette ist, die am Grund liegt, umso zuverlässiger ist der Ankerhalt. Die Faustregel, um die nötige Mindestkettenlänge zu berechnen ist:  (Wassertiefe+ Höhe des Überwasserschiffes) x 3. Ist Starkwind oder gar Sturm angesagt, lässt man mehr Kette raus.

Dusel – Glück

Ormos Matraki – Matraki Bucht

Victory – Dehler 36 CWS.  Eine elf-Meter-Yacht, die für sportliches Segeln entworfen wurde. Das Central Winch System (CWS) erleichtert es, „einhand“. also alleine, zu führen: alle nötigen Handgriffe für das segel setzen, reffen und einholen können von der Plicht aus über eine zentrale Wunsch ausgeführt werden.  Der letzte Stapellauf dieses Bootstyps war 1994.

Vicky – Spitzname der Victory

achtern – hinterer Bereich eines Bootes, Heck

Gennaker – Leichtwindsegel (asymmetrisches Spinnaker Segel)

bannig – sehr

GFKLeichtgewicht – die Dehler 36 CWS wiegt leer 5,5 t. Sie ist aus glasfaserverstärkten Kunststoff (GFK) gebaut, wie die meisten Segelyachten.

querab – rechtwinkilig zum Kiel

Neo Klima – Hafenstädtchen an der Westküste von Skopleos

Landleinen – werden gelegt, wenn die Wassertiefe das Ankern  in ausreichender Entfernung vom Ufer nicht erlaubt oder damit mehr Boote in einer Bucht liegen können. Zuerst wird der Anker geworfen, dann fährt man rückwärts aufs Land zu. Landleinen sollten immer an Felsnasen o.ä. gelegt werden, da sie Bäume verletzen könnten.

slippen -rutschen

Ormos Milia -Bucht an der Ostküste von Alonnisos

schwojen – im Radius um den Anker drehen: ein Schiff vor Anker oder an einer Boje dreht seinen Bug stets in den Wind. Wird der Wind stärker, spannt sich die Ankerkette. Kommt der Wind aus einer anderen Richtung, dreht sich das Boot um den Anker und ändert seine Position.

Schwell (oder Dünung) -Wellen, die aus ihrem Entstehungsbereich herausgelaufen sind. Im Gegensatz zur Windsee, die entsteht, wenn der Windd auf die Wasseroberfläche trifft. Schwell + Windsee = Seegang

Klönschnack – Schwätzchen

Plicht – auch Cockpit genannt. Außenbereich eines Bootes, wo sich die Crew aufhält.

Moana 38 – 38 Fuß lange,  von Anton Luft entworfene Segelyacht aus Stahl

MOM – Griechische NGO zum Studium und Schutz der Mittelmeer  Mönchsrobbe (Monachus Monachus)

Meeresnaturpark von Alonnisos – größter europäischer Meeresnaturpark und der erste, der in Griechenland gegründet wurde (vor dem Meerespark von Zakynthos)

Ghost Divers – Verein von Tauchern, die herrenlose Fischernetze (Geisternetze) vom Grund holen, in denen sich Fische und Meeressäuger verfangen und elend verenden

Ocean Crime – Webseite mit True Crime Podcasts zu Verbrechen auf hoher See

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Dem Meltemi entgegen

Auf in den Sommer! Es ist Anfang Juli, endlich bin ich wieder da, wo ich hin gehör, auf dem Meer.  Glücklich tucker ich an der Westküste der Insel Euböa lang, an Backbord gleitet das Festland vorbei. Nach ´ner kurzen Nacht vor Aidipsos lugt die Sonne übern Horizont und kündigt Hitze an. Da verzichtet meine Crew lieber auf das Bad in den heißen Quellen am Strand, lichtet den Anker und setzt Segel. Wir wollen um die Nordwestspitze Euböas huschen, und dann in den Pagasitischen Golf -auch Golf von Volos genannt.  Hart am Wind knüppeln wir in der Straße von Oreoi gegen Strömung, Welle und Meltemi an, den Nordwind, der in der Ägäis im Juli und August gerne zu Hochform aufläuft.  Meist bläst er aus Nordost, lässt sich aber gern von Kaps oder Bergen umlenken. So kommt er nu´ von da, wo wir hin wollen, von Ost, und schiebt uns in der Straße von Oreoi hartnäckig westwärts. Meine Crew gibt auf und wendet, segelt zurück nach Euböa, sucht ein geschütztes Eckchen, lässt meinen Anker fallen und wartet. Auf Ebbe, wenn das Wasser sich aus der Straße von Oreoi zum Meer hin zurückzieht. Und darauf, dass dem Meltemi zwischendurch mal die Puste ausgeht.

Als Segelyacht mach ich immer, was der Wind bestimmt. Er entscheidet, ob meine Crew und ich bleiben oder weiterziehen. Ob ich gegen die Welle angeh´ oder von ihr wie ´ne Nussschale hin und her geworfen werde, ob ich flott dahingleite oder vor mich hin dümpel und ohne Jockel nix geht. Ich für meinen Teil würde ja am liebsten die Ägäis rauf und runter rauschen, für Starkwind bin ich schließlich gemacht. Aber meine Crew hat sich ´ne Runde Erholung redlich verdient, wo die beiden doch so fleißig waren, dass ich nu´ wie aus´m Ei gepellt daher komme. Übe mich also in Geduld, als wir nicht gleich die Weite des Meeres suchen, schaukel vor mich hin in Ormos Alogoporos, im Südosten vom Pagasitischen Golf, wo die Berge des Pilion den Meltemi ausbremsen. Neben mir ankert die Victory, ´ne fesche Dehler Yacht, die ich vom Boatyard in Limni kenn, wo ich den Winter verbracht hab.

Meine Steuerfrau schnorchelt ´ne Runde durch die Bucht, will wissen, ob mein Anker sitzt, klettert dann schimpfend die Badeleiter hoch. Nich´ einen  Fisch hat sie gesehen, der Meeresboden gleicht ´ner Unterwasserwüste. Ein Spaziergang am nächsten Morgen muntert sie auf, da läuft sie mit dem Käpt´n von der Vicky über die Insel Trikeri gegenüber, durch ein weißes Fischerdörfchen zu  ´ner malerischen Bucht, dann zum  Kloster auf´m Hügel. Später kommt die Serenita, ´ne lütte Hallberg Rassy, kurz mit ihrem Käpt´n vorbei, übernachtet Backbord querab. Klönschnack in der Plicht hab´ ich immer gern!

Die Vicky bricht nach Volos auf, die Serenita nach Chalkida. Wir tuckern rüber nach Agii Apostoli, wo das Meer stets so glatt wie ein See is´. Das dauert nich´ lange, da taucht die Vicky wieder auf. Ihr Käpt´n betüdelt uns, kocht öfter mal was Feines, klettert auf meinen Mast, kontrolliert Wanten und Kabel und tauscht die Birne der Trikolorlampe. Bin traurig, als er die Vicky zum Anker lichten klar macht und Kurs aufs offene Meer nimmt, zu den nördlichen Sporaden. Doch meine Crew hat aufgehört, die Tage zu zählen, wenn das noch lange so geht, schlägt mein Anker Wurzeln.

Zu meinem Glück sorgen an vielen Sommernachmittagen thermische Effekte im Pagasitischen Golf für Südostwind, sonst würden die zwei wohl sagen: „Leider kein Segelwind, Lobsty…“, und noch´n büsch´n die Seele baumeln lassen. So machen wir uns denn doch bald auf nach Volos, im Norden des Golfs, wo das allerlei Geschäfte gibt. Bootszubehör, Elektrik, Eisenwaren, ´ne Yacht wie ich braucht viel Zuwendung, das habe ich sicher schon mal erwähnt. Ich bekomm ´nen neuen Unterliekstrecker. Meine Crew staunt, für Leinen wird in Hellas der Preis nicht nach Länge berechnet, sondern nach Gewicht. Außerdem braucht mein Käpt´n noch Kabel, um ´ne Seilwinde für mein Dinghi anzubauen. Und PVC Kleber, damit meine Crew nich´ jedes Mal pumpen muss, wenn sie mit meinem Beiboot an Land will.

Bald segeln wir im Westen des Golfs wieder gen Süden, nach Ormos Nies rein. Büsch´n trüb das Wasser hier, mein Anker is´ nich´ zu sehen am Grund, als meine Steuerfrau ´ne Runde schnorchelt, und Fische gibt das wieder keine. Ormos Nies ist weitläufig, mehrere Buchten schmiegen sich zwischen sanfte Hügel, Olivenbäume wachsen bis ans Ufer.  Hier und dort durchbrechen lütte Strände, auf die man gerade mal zwei Beiboote ziehen könnte, die Uferlinie, im Süden lockt ein ausgedehnter Strand einheimische Urlauber an. Dort, wo er zu einem schmalen Sandstreifen ausläuft, hocken manche auf Plastikstühlen unter Sonnenschirmen,  seichte Wellen umspielen ihre Füße.  Quellwasser aus den Bergen bildet Rinnsale, die dem Meer zustreben, beim verlassenen Kloster auf einer Landzunge speist es sogar ein altes, gemauertes Wasserbecken.

Eines Morgens, meine Steuerfrau is´ kaum aus der Koje, schallt die Stimme vom Käpt´n den Niedergang runter. „This is my boat!“  Sie lugt raus an Deck, er steht an der Reling und is´ ganz aus dem Häuschen. Meine Steuerfrau folgt seinem Blick ans Ufer, da liegt mein Dinghi noch auf dem lütten Strand, wo er das da am Vorabend mit Flicken versehen hatte, der Kleber musste noch trocknen. Und ´nu rangiert ´n Pick-Up neben meinem Beiboot rum, schiebt rückwärts einen Bootsanhänger ins Wasser. „He!“, ruft mein Käpt´n nochmal. „What are you doing?“ Springt auf´s  Paddleboard und rudert los. Meine Steuerfrau schnappt sich schlaftrunken ihren Badeanzug, hechtet den Niedergang hoch und schwimmt hinterher. Kurz darauf stehen beide neben dem leeren Bootsanhänger, das Wasser reicht ihnen bis an die Knie. Ratlos sehen sie sich um. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen, der Pick-up parkt verlassen neben meinem Beiboot. Meine Steuerfrau watet aus dem Wasser und setzt sich auf einen Baumstamm, mein Käpt´n kratzt sich am Kopf. Nach ´ner Weile nähert sich Motortuckern. Scheint von dem lütten Hafen um die Ecke zu kommen, wo bunte Holzboote mit Außenborder liegen, wie man sie in Hellas oft sieht. Meine Crew spitzt die Ohren. Sieht kurz darauf ein Holzboot neben den Bäumen auftauchen, die den Blick auf einen Teil des Häfchens versperren. Es hält auf meinen Käpt´n zu, der Mann an der Ruderpinne zuckt entschuldigend die Schultern, is´ wohl der Pick-up Fahrer. „Kalimera!“, ruft er. Englisch spricht er keins. Mein Käpt´n antwortet „Good Morning!“ und „Sorry!“ und watet ihm entgegen, um beim Verladen zu helfen. Mir fällt ein Stein von Herzen. Im Sommer ankern wir gerne, ohne Dinghi  wär´ das nix.

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Glossar

Aidipsos – Badeort im Norden der Insel Euböa, bekannt für seine heißen Quellen

Straße von Oreoi – Wasserstraße, die den Golf von Nord Euböa und den Pagasitischen Golf mit der Ägäis verbindet

Jockel – Motor

Ormos Alogoporos – Alogoporos Bucht, im Südosten des Golfs von Volos

Pilion – Gebirgszug im Regionalbezirk Magnisia der griechischen Region Thessalien, der den Pagasitischen Golf umschließt.

Dehler – Marke für sportliche Segelyachten

Hallberg Rassy – schwedische Bootswerft für hochseetaugliche Yachten

Klönschnack –Schwätzchen

Plicht – offener Teil eines Bootes, mit Steuerstand, Sitzfläche und z.T. Tisch

Chalkida – Hauptstadt der griechischen Insel Euböa

Agii Apostoli – Bucht im Südosten des Golfs von Volos

betüdeln – umsorgen

nördliche Sporaden – Inselgruppe im Norden der Ägäis

Unterliekstrecker – Leine (oder Draht), mit der ein Roll-Großsegel aus dem dem Mast gezogen und getrimmt, also flacher oder bauchiger gestellt, wird.

Ormos Nies – weitläufige Einbuchtung im Westen des Pagasitischen Golfs

Dinghi – Beiboot

Kalimera – Guten Morgen (griechisch)

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Endlich wieder Komplimente

„Du, Ruthie…“

„Ja, Lobsty?“

„Bist Du mir böse?“

„Wie kommst du da denn auf, meine Schöne?“

„Mach ich nich´ zu viel Arbeit?“

„Da kannst du ja nix für, nach vier Jahren im Wasser. Dein Unterwasserschiff war das reinste Riff.“

„Wohl wahr. Und all die Rostnester unterm Lack, da war mir gar nich´ wohl bei.“

„Sah aus, als hättest du die Masern. Wir Döspaddel hatten da im Herbst auch noch Primer über gestrichen.  Nu´ hat der Käpt´n die ganzen Stellen freigelegt, bis auf den Stahl hat er die alte Farbe runter geschliffen, wochenlang.“

„Ich mag das, wenn ich so betüdelt werd´!“

„Würde mir auch gefallen.“

„Der ganze Rost war wohl schon da gewesen, als ich noch auf dem Sonnenhof gestanden hab, in der Pfalz, auf´m Berg.“

„Nu´ isser ja weg, Lobsty, brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.“

„Das Deck ist auch neu gestrichen, sogar mit so Streukügelchen im Lack, da rutscht ihr hoffentlich nich´ mehr aus.“

„Jo. Siebzig Liter Farbe haben wir verbraucht. Und um die fünfhundert Meter Klebeband abgepult.“

„Und ´ne Menge Putzlappen verschlissen. Meine Klampen die blitzen und blinken!“

„Für dich nur das Beste,  mien Deern.“

„Echt jetzt?“

„Bist doch unser schweres Mädchen. Wenn die Crew von ´nem Yoghurtbecher mal wieder ihren Anker zu nah bei schmeißt, bleiben der Käpt´n und ich ganz entspannt. Stahl gegen GFK, da is´ der Verlierer klar. Du schlägst nich´ so schnell Leck!“

„Eine von meinen Schwesteryachten, die Themroc, hat das unbeschadet überstanden, als sie vor Neuseeland auf ein Riff gelaufen ist.“

„Genau. Und  bei Starkwind segelst du erste Sahne.“

„Oh, das hör ich gern. Hab schon lange kein Kompliment mehr bekommen.“

„Du bist was ganz Besonderes.“

„Das hast du nett gesagt.“

„Weißt du noch, auf deiner Jungfernfahrt, Lobsty, als wir von  Cap d´Agde nach  Castellón gesegelt sind? In der Marina von Palamos kamen zwei Katalanen mit Rotwein und Oliven an,  haben den Käpt´n zu Dir beglückwünscht und gefragt, ob sie an Bord kommen dürfen.“

„Oh ja! Und als wir in Castellón am Möwensteg lagen, stand da plötzlich einer vom Salvamento Maritimo und hat mich berwundert.“

 „Sein Sohn war der Segellehrer von den Deerns und Jungs, die immer mit den Optimisten um dich rumgeschippert sind, und der hatte ihm gesagt, am Steg liegt un velero muy bonito.“

„Sowas hör ich gern.“

„Nu´ kannst du ja wieder Komplimente angeln. Siehst aus wie neu.“

„Da freu ich mich bannig über!“ 

„Und bald geht das los. Im Wasser sind wir ja schon, anner Boje, mit Blick auf´n Boatyard. Müssen nur noch´n büsch´n rumpütschern; Dinghi und Außenborder klar machen, Sturmsegel  einfädeln, Kartenplotter testen …“

Na denn man tau, liebe Steuerfrau. Ich brauch endlich Wind umme Schnut.“

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Döspaddel – Dummkopf, Trottel

Primer – Rostschutz/Vorstreichfarbe

betüdeln – umsorgen, verhätscheln

Klampen – meist aus Edelstahl (A4, seewasserbeständig). Dienen zum Fetsmachen der Leinen beim Anlegen an einem Steg oder Kai.

mien Deern – mein Mädchen

Yoghurtbecher -Boote aus GFK (glasfaserverstärkter Kunststoff) sind leichter und wendiger als Stahlboote, und darauf sind Lobsty und Crew zuweilen neidisch.

Salvamento Maritimo – Spanische Seenotrettung

Optimist – kleine, leichte Segeljolle für Kinder und Jugendliche bis ca. 15 Jahre. Hat nur ein Seegel, dient auch als Vorbereitung auf den Regattasport.

un velero muy bonito – Spanisch: ein sehr schönes Segelboot

bannig – sehr

rumpütschern – umständlich arbeiten, mit einer Sache nicht zu Ende kommen

na denn man tau – dann mal los

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Jassu, Iónio Pélagos

Unser Besuch ist auf dem Weg nach Deutschland. Ein langer Segeltag beginnt. Der Himmel über Trizonia verabschiedet sich mit einem Regenbogen. Mal wieder ist Schmetterling angesagt . Bis der Wind auffrischt und wir das Groß einholen. Heiter rausche ich dahin. Die Küste des Peloponnes gleitet an Backbord vorbei. Schimmert verträumt im Abendrot. Das Vergnügen ist kurz. Mein Motor muss ran.

Im Stadthafen von Korinth is´ Ankern erlaubt, schreibt ein Segler in der Navily App. Is´ aber Tüdelkram. Kaum haben mein Käpt´n und meine Steuerfrau sich das im Cockpit gemütlich gemacht, steht einer aus´m Hafenbüro am Kai. Is´ kaum zu erkennen. Das Licht seiner Taschenlampe tanzt über mein Deck. Wir sollen weg. Oder an Land festmachen. Meine Steuerfrau schaut durchs Fernglas. Westlich eines hohen Zauns liegt Boot hinter Boot längsseits. Östlich davon hat nur eine Yacht festgemacht. Aber was sind das für dunkle Stellen am Pier?

Mir is´ ganz mulmig, als meine Crew Fender klarmacht und Leinen rausholt. Klar zum Anlegen lichten die zwei den Anker. Da springt der Nachbar von seinem Boot. Ruft no hurry, guys! Fängt unsere Leine. Die dunklen Stellen erweisen sich als Gummischutz. Dort, wo tückische Lücken im Pier klaffen. Der Wind drückt uns weg. Der nette Ami zieht uns bei und huscht winkend zu seiner Yacht zurück.

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Schon Caesar machte Pläne für einen Wasserweg durch die Landenge bei Korinth. Mit der Erfindung des Dynamits wird das Projekt machbar. Etwa hundertdreißig Jahre alt ist der Kanal von Korinth. Letztes Jahr war er gesperrt. Mal wieder ein Erdrutsch. Dieses Jahr schlüpfe ich gerade noch durch, bevor er wieder schließt. Tschüs, Ionisches Meer! Ägäis, wir kommen! Nur ´ne knappe Stunde, und der Saronische Golf empfängt mich mit einem lauen Lüftchen. Ein teurer Spaß. Zweihundertvierzig Euro. Aber ein Monument der Ingenieurskunst. Das gefällt meiner Crew. Besonders dem Käpt´n.

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Nisos Salamina bietet hier und dort ´ne lauschige Bucht. Órmos Kanakia, an der Westküste, lässt uns die Industrielandschaft um die Ecke vergessen. Entführt meine Ruthie in die Bronzezeit. Direkt am Strand den Hügel hoch. Über einen schmalen Pfad zwischen Pinien und Macchia zu den Ruinen einer mykenischen Akropolis.  Hier in Hellas finden sich an allen Ecken und Enden Zeugen vergangener Epochen. Vielerorts stellen archäologische Museen die lokalen Funde aus. Auch in Salamina Stadt. Sechstausend Jahre alte Vasen sind da zu sehen! Sollen formidabel sein. Kein Wunder, dass Töpfer im alten Griechenland kerameus genannt wurden.

Ansonsten hat die Hauptstadt der Insel kaum Historisches bewahrt. Beton bestimmt das Bild. Ein einsames Graffito im naiven Stil erinnert an die Seeschlacht von Salamis. Zweieinhalb Jahrtausende ist es her, dass der Siegeszug der Perser gen Westen hier beendet wurde. Heute geht Salamis nahtlos in Paloukia über. Tag und Nacht verkehren Fähren zwischen der Insel und Piräus. Am selben Steg bewacht ein Stahlzaun den Marinestützpunkt, Heimathafen der meisten griechischen Kriegsschiffe . Was bin ich man froh, dass ich eine Segelyacht bin. Das wäre grausam, allzeit vor Kanonen zu starren.

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Vor Piräus liegen Tanker und Frachter auf Reede. Prägen das Panorama vn Órmos Giala, an der Südwestküste Salaminas. Sonst gibt das hier kaum was. Nur die Kneipe vom Ruderclub und eine Bushaltestelle. Der Meltemi pustet kräftig aus Nordost. Kommt müde an. Erreicht kaum mehr als zwanzig Knoten. Anders is´ das am Kap Sounion. Am Südzipfel Attikas sind stetig sieben bis acht Beaufort gemeldet. Da müssen wir rum. Und dann gegen an. Also warten wir. Sieben Tage. Das Meer is´ recht klar. ´N büsch´n kühl, aber OK. Nur von der Badeleiter traut meine Crew sich nich´ weit weg.

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Mehr Containerschiffe als sonst wo im östlichen Mittelmeer, mehr Fähren als sonst wo in Europa. Piräus ist ein geschäftiger Hafen. Früh morgens merk ich da nich´ viel von im Verkehrstrennungsgebiet. Ein Lotse, der ´ne Kranplattform zieht und zwei Frachter von Süd. ´Ne Fähre, zwei Yachten und ´n Tanker von Nord. Schwupps haben wir die Bucht von Athen überquert. Den Meltemi stetig von querab und zahmer als die Tage zuvor. An der Riviera von Athen wird er mal mehr, mal weniger böig.  Pfeift um Inselchen. Lässt sich hier und dort von einem Kap ablenken oder braust einen Hang hinab.

Auch Órmos Sounion is´ nich´ gerade ´n Flautenfleckchen. Wie geschaffen für den Poseidontempel. Oben auf dem Kap thront der. Überblickt die südliche Ägäis. Meine Crew bleibt an Bord. Hat null Bock, das Dinghi runter zu lassen bei den Böen.  Zum Ufer is´ das  auch ´ne Ecke. Da würden die zwei wohl nass ankommen. So warten sie auf die Nacht. Wenn Scheinwerfer die hohen Säulen aus weißem Marmor mit Gold überziehen.

Im Morgengrauen geht das weiter. Eigentlich zu früh. „Bei Sonnenaufgang musst Du ums Kap!“, hat unsere Freundin von der Benko meiner Steuerfrau ans Herz gelegt. Nu´ dümpel ich im Leerlauf vor mich hin. Die Sonne trödelt hinter den Bergen im Südosten. Mein Käpt´n macht derweil Wasser. Meine Ruthie verliert die Geduld. Legt den Gang ein. Ich tucker ums Kap. Und endlich! Der Tempel badet in Morgenröte. Zusammen mit den Felsen und dem Meer. Wir erbitten Poseidons Schutz. Wie die Seeleute in alten Zeiten.

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Euböa – Windkapriolen und Möwenkacke

Um die Ecke vom Kap Sounion kommt Euböa in Sicht. Wir motoren. Das Festland an Backbord, die Inselküste an Steuerbord. Der Meltemi hat ´ne Verschnaufpause eingelegt. Bläst dann vormittags ein Weilchen. Hart am Wind knüppel ich nordwärts. Dann is´ wieder tote Hose. Hat aber auch sein Gutes. Die Fallwinde vor Nimporeio, an der Inselküste, gewähren ruhigen Schlaf. Am Morgen kommen sie dann wie gerufen. Hauen munter von querab in meine Segel und schieben mich zurück auf unsere Route gen Norden.

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Die Bucht von Porto Buffalo schlängelt sich ins Land und wird zu einem kreisrunden Naturhafen. Vier bis fünf Boote wie ich finden hier Platz und Sandgrund. Gut geschützt vor Seegang. Da macht das nix, dass die Hügel am Ufer eine Düse für den Meltemi formen. Mein Anker hält.

Der Sommer ist zurückgekehrt. Er schwächelt. Der Sonnenuntergang riecht nach Herbst. Doch morgens is das Deck ´ bei weitem nich´ so nass wie schon im September vor Lefkada. Und das Meer ist immer noch warm genug für meine Steuerfrau, die ein Frostködel ist. Etliche der wenigen Häuser scheinen verwaist. Schweigen hinter heruntergelassenen Jalousien.  Nur neben mir, am Ufer, ist der Bär los. „Evia Silence“ steht auf dem Schild vor dem Haus, das eine Art Hotel zu sein scheint. Mein Käpt´n ist überzeugt davon, dass dort Kandidatinnen für die Miss Griechenland Wahl trainiert werden.  Doch die Mädels, die sich mittags am felsigen Ufer sonnen, machen schlichtweg gerne Yoga. Da hat meine Steuerfrau ein Auge für. ´Nu hat sie endlich meine Lobstyfahne gehisst! Fröhlich flattert die bei jeder Böe.  Müsste vom Yogasaal aus bestens zu sehen sein.

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Der Meltemi is´ ein windiger Geselle. Mal trudelt er unentschlossen, dann knallt er ohne Vorwarnung in meine Segel. Will mich umhauen. Überlegt es sich anders. Lässt mich zufrieden dahingleiten. Schläft ein. Bläst kurz darauf wieder volle Kanne. Was für ´ne Möwenkacke! Wenigstens kommt er heute von querab. Denn Euböas Küste macht ´nen Knick. Wir halten Kurs West. Und meine Crew übt Segel trimmen.

Eretria ist unser Ort für die Nacht. Nach zwei Wochen Buchtenschaukeln fiebert sogar mein Käpt´n dem Landgang entgegen. Auf den Morgenspaziergang verzichtet er. Die Straßen des Örtchens erinnern meine Ruthie an Südamerkia. Sehr breit. Marode. Spärlich von flachen, weißen Häusern gesäumt. Hier und dort genießen Alte vor der Haustür die Herbstsonne.

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Wir kreuzen gegen an. Meine Crew beobachtet die Wasseroberfläche. Wo die dunkler is´, wartet die nächste Böe. Wende um Wende schlagen wir dem Wind ein Schnippchen. Zum Glück liegen nur wenige Seemeilen vor uns. Die Brücke von Chalkida wartet. Unter durch können wir nich´. Viel zu niedrig. Aber sie kann beidseits verschwinden. Eine der letzten Schiebebrücken! Wird einmal am Tag geöffnet. Irgendwann zwischen neun Uhr Abends und drei Uhr morgens. Die Stillwasserzeit verschiebt sich jeden Tag um eine halbe Stunde.

Der Stadtkai ist nich´ gerade verlockend. Zu zerwühlt is´ das Wasser. Die Tidenströmungen durch die Evripos Meerenge sind die stärksten in Griechenland. Is´ ja auch die engste Meerenge der Erde. Bis zu zehn Mal am Tag kann die Strömung hier die Richtung wechseln. Gilt als unvorhersehbar. Ein Gezeitengeheimnis, bei dem wohl der Wind mitmischt. Selbst für Aristoteles unlösbar. Der soll sich angesichts des Mysteriums in den Evripos gestürzt haben. Wenn das man kein Märchen is´ !

Ich warte in sicherer Entfernung. Meine Crew lässt das Dinghi runter. Zahlt im Hafenbüro die Gebühr. Um elf Uhr nachts wird die Brücke geöffnet. Was´n Dusel, wir müssen nicht bis drei Uhr morgens warten. Sollen ab neun auf Kanal zwölf Standby sein .  Um viertel vor elf ruft die Brückenkontrolle ein Boot nach dem anderen. Ankerketten rasseln in ihre Kisten. Zwei Boote sind vor uns dran. Mein Käpt´n rätselt, welche das sind. Wir warten. Lassen ein Motorboot und eine Segelyacht durch. Motoren mit gut Abstand hinterher. Es ist fast windstill und diesig. Land und Meer verschwimmen schwarz. Ein paar Seemeilen entfernt, vor Atrakia, fällt meine Crew hundemüde in die Koje.

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Kein Wind. Dafür pladdert der Regen ungestüm. Meine Ruthie bäckt Kuchen. Freut sich, dass wir mit Motor flink sind. Und mittags schon am Ziel. Xaris, vom Stellplatz wo ich hin soll, schickt uns in den Stadthafen. Starkwind is´ im Anmarsch. Und noch mehr Regen. Wenn das ruhiger wird, sagt er, holt er mich aus dem Wasser. Wir erwischen einen letzten, windstillen Moment. Gleiten in das schmale Häfchen von Limni. Wie soll ich da bloß wieder raus kommen! Meine Ruthie springt von Bord. Fängt die Leinen und macht mich fest. Mein Käpt´n freut sich über unsere leichtfüssige Steuerfrau.

Wir wettern ab. Meine Crew erkundet die Umgebung. Schnackt mit Fischern. Letztes Jahr stand Nordeuböa in Flammen. In Limni brannten erste Häuser. Auf dem boatyard machte man Rettungsboote klar. Die griechische Regierung überlässt die Insel ihrem Schicksal. Konzentriert alle Kräfte auf einen Flächenbrand bei Athen. Baumskelette bevölkern nun die Hügel. Weiter als das Auge reicht.  Wildtiere sind nicht zu sehen. Nur ein paar streunende Hunde.

Feuer gehorcht dem Wind. Hat vereinzelt Grün verschont. Hier ´nen Olivenhain dort ´nen Nadelbaum. Sogar über ein Dorf ist es hinweg gesprungen. Hat wo anders eine Ziegenherde eingeschlossen. Sich Bienenstöcke einverleibt. Viele Familien sammelten Harz. Für den Retsina Wein. Lebten da von. Jetzt werden selbst unversehrte Kiefern schlagartig braun. Sterben im Handumdrehen. Die Menschen schwanken zwischen Trauer und Wut. Sind verzweifelt. Haben Hoffnung. In fünfzehn Jahren, sagt ein Fischer, ist alles wieder grün. Man sieht es schon. Verkohlte Olivenbäume, die von den Wurzeln her austreiben. Kieferntriebe auf unbefahrenen Wegen.

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Im Hafen drehen geht nicht. Rückwärts fahren ist heikel. Ich muss nach achtern verholt werden. Unsere Nachbarn und Xaris vom Bootsstellplatz helfen. Früh am nächsten Morgen, bei Flaute, geht das los. Nach Paralia Koxili is´ das ein Katzensprung. Xaris wartet im Wasser. Er dirigiert uns. Ich rausche auf ihn zu. Man gut, dass er ´n Neoprenanzug anhat. Und gerne taucht. Erst beim dritten Anlauf rutsche ich in die Schienen vom Trailer. Nu´ steh´ ich auf meinem Winterplatz. Ich muss wirklich langsam mal´n büsch´n betüdelt werden. Farbe und so. Aber hier lässt sich das aushalten. Hab´ lange nich´ so viele Möwen gesehen! Hunderte von weißen Punkten auf dem blauen Meer. Schwingen sich ab und an in die Luft. Verschmelzen zu einem Wunderwesen. Lösen sich voneinander. Kreisen im Gleitflug. Solange die mir nich´ aufs Deck kacken, freu ich mich da über.

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Route vom Ionischen Meer in die Agäis

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Glossar

Jassu, Iónio Pélagos – Tschüs, Ionisches Meer

Trizonia – insel im Golf von Korinth

Navily – App für Segler und Windsurfer. Die Nutzer können z. B. Kommentare zu Ankerplätzen veröffentlichen.

Tüdelkramhier: Unsinn (Plattdütsch)

Pier – Kaimauer (Plattdütsch)

Fender klarmachen – Fender an der Reling befestigen

no hurry, guys – keine Eile, Leute

Nisos – Insel (Griechisch)

Órmos – Bucht (Griechisch)

Bronzezeit – meint hier das Späthelladikum, ca. 1600 v. Chr. bis ca. 1050 v. Chr.

mykenische Akropolis – die Bezeichnung „mykenisch“ ist eine moderne Schöpfung. Wie sich die Kultur selbst nannte, ist unbekannt. Sie bevölkerte im Späthelladikum den Ägäisraum und ist die erste bekannte Hochkultur des europäischen Festlands.

kerameus – Töpfer (Altgriechisch)

auf Reede liegen – vor einem Hafen oder der Mündung einer Wasserstraße vor Anker liegen und warten

Meltemi – Starker Wind aus dem Nordquadranten (Nordost, Nord, Nordwest), der von Mai bis Oktober in der Ägäis vorherrscht

Beaufort – meint die Beaufort Skala, welche die Windstärke nach Geschwindigkeit und Auswirkung in Stufen von 0 (Windstille) bis 12 (Orkan) kategorisiert

gegen an – gegen den Wind segeln bedeutet, zu kreuzen. Immer im höchst möglichen Winkel zum Wind. Je nach Schiffstyp 30º bis 90º Grad.

Verkehrstrennungsgebiet –  bekannt gemachte Schifffahrtswege, die durch Trennlinien oder Trennzonen in Einbahnwege geteilt sind

von querab – der Wind fällt im 90º Winkel in die Segel. Rechtwinklig zum Kiel

Riviera von Athen – das Küstengebiet der südlichen Vorstädte von Athen. Von Piräus bis zum Kap Sounion.

Poseidon – Gott des Meeres in der griechischen Mythologie. Bruder von Zeus und eine der zwölf olympischen Gottheiten.

Euböa – zweitgrößte Insel der Ägäis

Düse – z.B. ein lang gezogenes Tal, das sich in Windrichtung erstreckt. In diesem Fall von Nordost nach Südwest, sodass der Meltemi aus Nordosten kommend seine Kraft bündelt und schneller wird.

Frostködel – jemand, der leicht friert

Chalkida – Hauptstadt von Euböa

Stillwasserzeit – kurzer Zeitraum beim Umkehren des Gezeitenstroms

Kanal zwölf – UKW Kanal. Seefunk

abwettern – auf besseres Wetter warten

boatyard – Bootsstellplatz

verholen – mit Leinen o.a. zu einem anderen Liegeplatz ziehen

betüdeln – umsorgen, pflegen

Quellenhinweis zum Foto vom Poseidontempel: https://commons.wikimedia.or/wiki/File:Greece_Cape_Sounion_BW_2017-10-09_10-06-31.jpg

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Vom Meer und von Land

Mein Element ist das Meer. Ach, hätte ich das doch erlebt, als seine Riffe bunt und bewohnt waren. Und die Buchten voller Leben. Dort, wo das Wasser noch klar und durchscheinend ist, treffen wir manchmal selten gewordene Wesen. Einmal hat meine Ruthie sogar einen kleinen Rochen gesehen. Und ein anderes Mal  ´nen blassrosa Seestern.  Die großen Steckmuscheln, die sie als Kind so mochte, sind nur noch Erinnerung.

Oft hab´ ich ja ´nen Strand, ´n felsiges Ufer oder irgendein Örtchen in Sichtweite. Wenn ich in ´ner Bucht gemütlich vor mich hin schaukel, lassen mein Käpt´n und meine Steuerfrau gerne mal die Seele baumeln. Anker ich vor ´ner größeren Stadt -was zum Glück nich´ häufig vorkommt- sieht das anders aus. Die beiden sind jeden Tag auf Landgang. Und sie schlafen unruhig. Über Winter lieg ich meist in einem Hafen.  Manchmal auch bei Sturm. Schwappt Öl und Abfall rum, nervt das. Gibt das viele Fischerboote, wachsen Algen besonders eifrig. Dann hab´ ich in  kürzester Zeit ´nen Poseidonbart am Rumpf. Je mehr Menschengewusel, umso lebloser die Unterwasserwelt. Dabei mag ich das so gern, wenn die Fische die Seepocken, Entenmuscheln und Schiffsbohrwürmer von meinem Rumpf abknabbern!

Ich frag´ mich, wie Menschen das Meer betrachten. Meine Steuerfrau sagt, das Land von Weitem zu sehen hat was für sich. So klein wirkt alles, so unbedeutend. Selbst Kummer oder Furcht erscheinen in ´nem anderen Licht. In der Berufsschifffahrt nennt so mancher die See „das blaue Regal“. Was nich´ mehr gebraucht wird, geht nämlich über Bord. Das soll ma´ eine verstehen! Andere besingen la mer. Ihre Weite. Ihre Wildheit. Die Sehnsucht nach dem, was der Horizont verbirgt. Das gefällt mir schon besser. Aber ich glaube, im Grunde ist das Meer den Menschen fremd.  Denn es ist eine Welt, so einzigartig und wundersam wie die Sterne am Himmel.

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Die Nahia sichtet auf der Überfahrt von Malta nach Griechenland ein Boot in Seenot. Etwa sieben Meter lang. Mit Außenborder. Hoffnungslos überladen. Immer wieder verschwindet es im Wellental. Die Nahia fährt unter vollen Segeln. Kann nicht so einfach stoppen, und mit ihren zwölf Metern Länge nur wenige Personen an Bord nehmen. Müsste um die dreißig Menschen ihrem Schicksal überlassen. Ihre Kapitänin sendet ein Pan-Pan auf Kanal sechzehn. Keiner antwortet. Die Zeit verrinnt. Eine gefühlte Ewigkeit. Unsere Freundin funkt beharrlich. Fordert die Weiterleitung des Notrufs ans MRCC. Noch immer keine Rückmeldung. Ein Frachter ist in Sichtweite. Sie ruft ihn. Zögerlich sagt er Unterstützung zu. Setzt Kurs auf die Position, an der die Nahia die Menschen in Seenot zuletzt gesichtet hat. Wenig später meldet sich Radio Crotone. Das MRCC hat die Koordination übernommen. Die Nahia soll ihren Weg, der Frachter die Suche fortsetzen. Weitere Frachter werden in die Rettungsaktion einbezogen. Der Funkverkehr zeigt, dass die Kapitäne sich aus der Verantwortung stehlen wollen. Das dürfen die nich´. Is´ internationales Seerecht. Ein Funkspruch von Frontex kommt klar und deutlich rüber. Von Seenotrettung keine Rede. Das Warten ist eine Qual. Acht lange Stunden überwachen unsere Freunde AIS und Funk. Endlich sichtet ein liberianischer Frachter das Boot. Die italienische Küstenwache rettet alle fünfunddreißig Personen. 

Für manche Menschen ist das Meer der einzige Weg in eine Zukunft. Die Hoffnungslosigkeit fürchten sie mehr, als die dunkle Tiefe der See.

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Reiselust und Melancholie

Fast Herbst. Meine Crew überlegt, nach Pylos zu segeln. Kurs Peloponnes. Aber erst mal kommt die Tochter vom Käpt´n. Die Deern is´ echt reiselustig! Steht schon am Kai von Astakos, als wir einlaufen. Zum ersten Mal in diesem Sommer legen wir in einem Stadthafen an. „Römisch-Katholisch“, also Anker werfen und dann rückwärts an den Steg. Da liegt ´ne Stahlsegelyacht. „Heilix Blechle“ heißt die. Hektisch holt ihre Crew die Fender raus. Hätte gar nich´ Not getan. Der Wind drückt uns weg. Nur schräg am Ende vom Steg gelingt das Festmachen, die Leine achtern an Steuerbord viel länger als die an Backbord.

Astakos liegt nördlich vom Golf von Patras.  Ein nettes Fleckchen abseits von Flotillen und Tourismus. Hafengebühren gibt das nich´. Wer am Steg Wasser und Strom zapfen möchte, bekommt am Kiosk für zehn Euro ´ne Karte. Aber wir haben ja Solarstrom. Und machen unser Wasser selbst.

Büsch´n was einholen am Morgen. Frühstücken. Leinen auf Slip. Ablegen. Wir motoren Kurs Nordwest. Sophie freut sich auf die Nahia. Es ist fast windstill. Auf´m Hinweg hatten wir sieben bis acht Knoten. Da nehm´ ich auch nich´ wirklich Fahrt auf.  Aber am Westufer der weiten Bucht von Astakos erhebt sich der Berg Veloutsa. Is´ fast tausend Meter hoch und recht kahl. ´Ne prima Rutschbahn für Fallböen. Besonders bei Nordwest.  Mal wieder über zwanzig Knoten Wind. Und emsiges Reffen. Im Nu war ich am Ziel!

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Die Zeit verfliegt. Bald ist Ende September. Mehrmals schon haben wir uns von der Nahia verabschiedet. Sind dann geblieben. Oder haben sie nochmal getroffen. Zweimal hat ihr Käpt´n mein Dinghi gerettet. Einmal nachts, als das nich´ richtig festgemacht war. Einmal im Starkwind. Da hat der Außenborder gestreikt. Beim dritten Mal, frotzelt er, behält er mein Beiboot. Seins verliert nämlich Luft. 

In Órmos Vlicho ist das Wasser trüb. „The english toilet“ nennen die Einheimischen den Ort. Starkwind und Gewitter sind angesagt. Die Berge rundum bieten Schutz. Zwei Tage lang.  Dann wünschen wir der Nahia zum letzten Mal Handbreit und Fairwinds. Meine Crew will nu´ doch durch den Kanal von Korinth. Sind fast zweihundert Seemeilen weniger nach Limni, wo ich aus dem Wasser soll.  Wir setzen Kurs Südost. Müssen uns sputen. Der Kanal macht bald dicht. Wann genau, ist unklar. 

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So gerne hätten wir Sophie die Wasp Bay in Nisos Kastos von ihrer träumerischen Seite gezeigt. Doch der Ostwind schiebt Welle rein, und wir lichten in aller Frühe den Anker. Mein Käpt´n erspäht Nadelfische im kabbeligen Wasser. Wie lütte Seeschlangen wirken sie. Werden auch Salzwasser-Hornhecht genannt. Man sieht sie nich´ oft.

Am Nordufer der weiten Einfahrt in den Golf von Patras liegt Marschland. Das Naturschutzgebiet „Porto Skrofa“ ist an einen Privatmann vermietet. Der betreibt hier Fischfarmen. Und ein Restaurant mit mehreren Bojen, an denen Gäste ihr Boot festmachen können. Einsam blickt die nach drei Seiten offene Terrasse in die weitläufige Bucht. Die Kellnerin bringt meiner Crew ´nen Liter Mineralwasser. Mit Kohlensäure. Fünf Euro die Buddel. Die trägt meine Ruthie freundlich zurück. Nur der Preis für stilles Wasser ist in Griechenland gesetzlich festgelegt.  Auf höchstens eins fünfzig den Liter.

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Der Wind schiebt uns von achtern zur Rio-Andirrio-Brücke. Sie überspannt die Meerenge am Übergang vom Golf von Patras zum Golf von Korinth. War wohl nich´ leicht zu bauen, hier hat die Erde schon oft gebebt. Meine Crew meldet mich über Kanal vierzehn bei Rion-Traffic an. Fünf Seemeilen vorher. Flying Lobster. Height of mast eighteen meters. Bekommt Erlaubnis, unter dem nördlichen Abschnitt der Brücke durchzufahren. Bleibt auf Hörbereitschaft. Meine Segel sind auf Schmetterling getrimmt. Das Groß zur einen, die Genua zur anderen Seite. Hinter uns färbt der Horizont sich goldorange. Vor uns leuchten Straßenlaternen in fünfzig Meter Höhe. Nah bei der Brücke sagen wir der Kontrollstation nochmal Bescheid. Dann, auf einmal, allerfeinste Waschmaschine. In Windeseile schmeißt meine Crew den Motor an und holt die Segel ein. Mein Käpt´n fährt, meine Steuerfrau hält nach Gegenverkehr Ausschau. Kaum unter durch drehen wir nach Backbord ab. Kurs Nordnordost, auf Nafpaktos zu. Blicken zurück. Die Stahlseile verschwinden in der Nacht. Die Pylone sind angestrahlt. Blaue Riesen, die am Himmel kratzen.

´Ne Stunde später macht meine Steuerfrau die Positionslichter des venezianischen Hafens von Nafpaktos aus. Dann, nach und nach, mehrere Boote, die östlich der Einfahrt vor Anker liegen. Da sucht meine Crew mir ein Plätzchen. Vor dreitausend Jahren war Nafpaktos eine Hafenmetropole. Die Herrscher wechselten oft. Als im Mittelalter mal Venedig am Ruder ist, heißt der Ort Lepanto. Die Burg wird erneuert, der Hafen gebaut. Erfolglos belagern ihn die Osmanen. Ein Jahrhundert später tobt vor Lepanto die letzte große Galeerenschlacht des Mittelmeers. Noch immer erinnert sich das Meer an den Geschmack von Blut.

Mein Käpt´n, Sophie und meine Steuerfrau entdecken auf Landgang ein hübsches Städtchen. Mit allerlei Kafenions, malerischem Aufstieg zur Burg und einer netten Bäckerin. Mein Dinghi ist im Häfchen festgemacht. Ich wollte da nich´ rein. Is´ viel zu eng.

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Wenn mich Eine fragen würde, wo das Land besonders schön is´, käme meine Antwort wie aus der Harpune geschossen. Eine Insel im Golf von Korinth. Nah bei der Nordküste. Da wettern wir ´n büsch´n Starkwind ab. Die Benko hatte die gleiche Idee. In so guter Gesellschaft find´ ich das gar nich´ so übel, im Hafen zu sein. Obwohl meine Crew ´n Holzbrett zwischen Fender und Kai schieben muss, weil der Beton bröckelt.  Meine Ruthie freut sich bannig, Ouzo kennenzulernen. Das dritte Crewmitglied der Benko. Er mag die verschlungenen Pfade von Trizonia auch gern. Will Hasen hinterher hüpfen und Schildkröten aufstöbern. Wir lassen ihn schnuppern, aber nich´ laufen. Das ein oder andere Foto verdanken wir ihm.

Schweren Herzens verabschieden wir uns von der Benko. Die hübsche Reinke-Stahlyacht soll verkauft werden! Sie is´ für mich wie ´ne Schwester. Ihre Crew is´ man bannig jung. Die muss nu´ an Land, ´n büsch´n Monne machen. Aber die Videos von Sailing Benko bleiben auf Youtube. Ich glaub´, ich brauch ´ne frische Brise und ein loses Fall. Dann trommel ich meine Melancholie in den Wind.

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Glossar

la mer – das Meer (Französisch)

Pan Pan – Dringlichkeitsmeldung im Sprechfunkverkehr zwischen Schiffen, Flugzeugen oder anderen Fahrzeugen. Wer bei einem akuten, schwerwiegenden Problem (Panne mit akuter Gefahr für ein Fahrzeug, ärztliche Hilfe wird benötigt, o. ä.) Hilfe ruft, beginnt seinen Funkspruch mit Pan Pan, Pan Pan, Pan Pan. Der Dringlichkeitsruf Pan Pan ist dem Hilferuf Mayday untergeordnet, der bei einen Notfall mit akuter Lebensgefahr gesendet wird und die Einleitung von Rettungsmaßnahmen erbittet.

MRCCMaritime Rescue Coordination Centre. Leitstelle zur Koordination der Seenotrettung. Befinden sich vor allem in Küstenstaaten weltweit, die das SAR- Abkommen von 1979 unterzeichnet haben. Dieses soll die Rettung von Menschen in Seenot unabhängig vom Unfallort durch eine Seenotrettungsorganisation sicherstellen.

Crotone – Hauptstadt der kalabrischen Provinz Crotone. Liegt an der italienischen „Stiefelsohle“.

Frontex – Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Zuständig für die Kontrolle der Außengrenzen des Schengen-Raums. Wurde 2004 gegründet.

AIS – Automatisches Identifikationssystem für Schiffe. Ein Datenfunksystem, das statische, dynamische und reisebezogene Schiffsdaten zwischen damit ausgerüsteten Schiffen sowie zwischen ausgerüsteten Schiffen und Landstationen austauscht.

Nahia  – „der Wunsch“ (Baskisch), ein befreundetes Segelboot

Deern – Mädchen (Plattdütsch)

Fender – aufblasbare Kissen, Schläuche oder Kugeln, die den Schiffsrumpf beim Anlegen und Manövrieren vor Beschädigungen schützen

achtern –  hinten (Plattdütsch, nautischer Ausdruck)

Flotille –  mehrere Boote, die zusammen einen Törn machen; u.U. fährt nur auf einem davon ein Skipper mit Segelschein

Leinen auf Slip – Leinen so legen, dass man sie beim Ablegen vom Boot aus einfach an Bord ziehen kann

Órmos – Bucht (Griechisch)

Handbreit –  „Immer eine Hand breit Wasser unterm Kiel“. Deutscher Seeleutegruß beim Abschied

Fairwinds – „schöne Winde“. Englischer Seeleutegruß beim Abschied

Wasp Bay – Wespenbucht

Nisos – Insel (Griechisch)

lütt – klein (Plattdütsch)

Rio-Andirrio Brücke – heißt offiziell Charilaos-Trikoupis-Brücke

Flying Lobster. Height of mast eighteen meters. –  Schiffsname und Masthöhe müssen vor der Durchfahrt bei Rion Traffic angegeben werden

Waschmaschine – aufgewühlte See; bedingt durch Wind- und Strömungsverhältnisse kommen Wellen aus verschiedenen Richtungen

Pylon – Pfeiler von Hänge- oder Drahtseilbrücken, der die Seile an den höchsten Punkten trägt

Kafenion – Kaffeehaus, Café

Benko – befreundetes Segelboot

bannig – sehr (Plattdütsch)

Monne – Geld (Plattdütsch)

Fall – auf Segelschiffen ein Stück Tauwerk, das zum Hinaufziehen (Setzen) und Herablassen (Bergen) oder Reffen von Segeln benutzt wird

Link zum Nadelfisch Foto von Paul Harrison: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Keeltail_needlefish_0541.jpg

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Der Sommer ein Traum

Ich steh auf dem Trockenen. So richtig wohl is´ mir dabei ja nich.´ Aber mein Unterwasserschiff ist mittlerweile ein Riff. Und der Rost macht mir zu schaffen. ´N büsch´n Pflege wär nich´ verkehrt. Doch der Winter ist im Anmarsch, und in Euböa kann das wohl  kalt werden. Letzten März sind die Schiffe hier auf dem Stellplatz unter einer Schneedecke verschwunden. Mal sehen, wie das dieses Jahr wird.

Grau verschwimmt das Meer mit den Umrissen der Küste. Der Wind peitscht Regenwolken vor sich her. Träumen geht immer.  Von lauen Nächten, leise wiege ich meine Crew unterm Sternenzelt. Vom Aufwachbad am Morgen, das Meer so klar, dass mein weiß gestrichener Anker am Grund zu sehen ist. Vom Landgang mit dem Sup. Im Schatten eines Olivenbaumes wartet es, während meine Steuerfrau die Gegend erkundet. Der Käpt´n hält Siesta unterm Moskitonetz.

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Neue Ufer rufen

Auf Segelwind warten. Ende Juli kann das im Mittelmeer einiges an Geduld erfordern. Nicht gerade eine Stärke meiner Steuerfrau. A happy wife is a happy life, denkt mein Käpt´n sich. Hat nichts dagegen, bald ins süße Lotterleben der Buchtensegler einzu­­­­­tauchen. Wirft den Motor an. Stundenlang macht Aiolus sich rar. Bis er angeschlichen kommt. Von achtern. Mit sechs bis sieben Knoten. Der Käpt´n baumt das Groß aus. Ich segel  Schmetterling.  Fühl mich wie ´ne lahme Ente! Widerwillig verschwindet Italien in der Nacht.

Drei mondlose Nächte und zwei Tage lang umgibt uns allein das Ió­­nio Pélagos, das ionische Meer. Immer wieder muss mein OM314 ran. Der brummt zufrieden. Ihm is´ das eins, was der Diesel kostet. Kurz begleiten uns Delfine. Eine Schildkröte kreuzt meinen Weg. Korfu, am Übergang zur Adria, liegt weit im Norden. So viele Inseln warten auf uns! Und Buchten wie Sand am Meer. Obwohl der Wind schwächelt, lassen wir ihn den Kurs bestimmen. Direkt auf die Südküste von Lefkada zu.

In der rundum geschützten Bucht von Syvota fällt mein Anker auf griechischen Grund. Erst mal frühstücken! Hundemüde hofft meine Crew auf eine Vormittagssiesta ohne Schwell und Fallwinde. Ruhig is´ das hier allerdings nich´. Restaurants säumen das Ufer, locken mit kostenlosen Liegeplätzen am hauseigenen Steg.  Flotillenweise rücken Segelboote an. Is echt ´n Ding! Um eine Flotillenyacht zu chartern braucht man keinen Führerschein. Ein Boot mit Skipper leitet die übrigen Crews per Funk an.  Geheuer is´ mir das ja nich´.

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Nahia. Nahia. Nahia. This is sailing vessel Flying Lobster. Flying Lobster. Over. Die Nahia antwortet auf den ersten Ruf. Wir wechseln auf Kanal 72. Unsere Freunde ankern in der Bucht von Palairos. Nur ´nen Halbtgstörn entfernt. Vor Freude könnte ich quietschen wie ein Delfin.

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Im Norden von Nisos Meganisi gefällt mir das. Kaum ein Haus. Nur zwei Boote neben mir. Hinter der Badeplattform schwimmt mein Dinghi. Klar lockt das Meer. Manchmal treibt Schaum drauf. Wo der wohl herkommt? Die See ist ein Seidentuch in Órmos Platigyáli. Seit gestern Abend. Meine Crew is´ nochmal drum rum gekommen, Landleinen zu legen. Da haben die zwei echt Bammel vor. Dabei sieht das einfach aus bei anderen Booten. Anker an der richtigen Stelle runterlassen. Rückwärts fahren, bis er sich gut eingräbt. Die Kette muss sich in einer Linie mit meiner Längsachse spannen. Zugleich werd ich achtern, an Backbord und Steuerbord, mit Leinen an Land befestigt. Landleinen eben. Hier in der Gegend meist an einer Felsspitze, die aus dem Wasser ragt. Oder an einem knorrigen Baumstamm. Ich geb ja zu, ich bin ´n büsch´n schwerfällig. Besonders im Rückwärtsgang.  Doch vor den Inseln hier fällt der Grund oft schnell ab. Und nah am Ufer is´ schwojen nich´ drin. Nu´ anker ich auf zweiundzwanzig Meter Tiefe. Da reichen meine siebzig Meter Kette. Wenn das Wetter ruhig is´. Und der Wind darf nich´ drehen.

Mein Käpt´n liest ´nen Thriller.  Meine Steuerfrau checkt den Wetterbericht. Lässt den Blick schweifen.  „Schau mal, Käpt´n“, sagt sie. „Was das Boot da für ´ne Schräglage hat!“  Lässig hocken die zwei in der Plicht. Seh´n die denn nich´, wie die See sich weiter draußen kräuselt? Der Wind schiebt die Welle vor sich her und setzt ihr Schaumkrönchen auf. Sie rollt auf uns zu. Aus Nordnordost. 

„Gleich geht´s los hier!“Mein Käpt´n springt auf. Hastet zum Heck. Ruft „Dinghi hoch!“ Klettert die Leiter runter. Zieht mein Beiboot bei. Mal ist die Badeplattform Land unter, mal steht sie in der Luft, ´n Meter über´m Wasser. Mein Käpt´n scheint leicht wie ein Flummi. Hält sich mit einer Hand am Geräteträger fest. Mit der anderen will er die Karabinerhaken einhängen. Am Heck bereitet meine Steuerfrau die Leinen zum Hochziehen vor. Wartet. Der Wind drückt uns in die Bucht. Mein Anker slippt. Das felsige Ufer kommt näher. Ruthie schmeißt den OM314 an. Legt den Vorwärtsgang ein.

Endlich! Unisono ziehen die zwei mein Dinghi hoch. Geben Vollgas. Das is´ man mal gerade noch gut gegangen! Um die Ionischen Inseln rum blasen die Böen oft so stetig, dass die Grundwindgeschwindigkeit nicht interessiert. Wenn Windy sieben Knoten vorhersagt, und zwanzig in der Böe, werden es möglicherweise beinah durchgehend zwanzig.  Vielleicht ist das Meer deshalb heute so leer. Nur die Sonne begleitet uns. Flutet das Firmament mit Feuerfarben. Versinkt fulminant hinterm Festland.  Als wir ein Plätzchen zwischen den Booten vor Palairos suchen, verschwindet das Städtchen in der Dämmerung.

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Brichst Du auf gen Ithaka…

Freunde sind das beste Ziel. Wie gesagt, das Meer is´ überall blau. Zur Nahia tuckern wir am frühen Nachmittag. Extra langsam, um mit dem Strom, den mein Motor generiert, genügend Wasser zu machen. Der Konverter wird bald zu heiß. Achtzig Liter Wasser müssen reichen. Umso besser, denkt sich meine Ruthie. Jetzt können wir schneller fahren. Noch weiß sie nicht, dass wir unsere Freunde öfter treffen werden. Die schönsten Buchten werden wir mit ihnen teilen. Die Wasp Bay, an der Ostküste von Kastos. So einsam und wild. Morgens wecken uns die Ziegen am Ufer. Die Bucht beim Kapellchen, im Norden von Kalamos. Grün wie ein Waldsee schimmert das Meer. Sind da Feen und Kobolde zwischen den Kiefern am Ufer? Gegenüber am Festland, in der Bucht von Mitikas, stehen Duschen am Strand. In die Kalamos Woods Bay ließ Jackie sich schippern. Die Insel von Onassis liegt um die Ecke. Eine Pfeffersackinsel. Betreten verboten.

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WoP, der Käpt´n der Little Secret, kommt in Órmos Varko zum Klönschnack vorbei. Die Lise ist auf dem Weg nach Norden. Wohin die Reise geht, fragt er. Mein Käpt´n möchte mal durch den Kanal von Korinth. Vielleicht aber auch um die Peloponnes Halbinsel. Meine Steuerfrau träumt von Ithaka. Vorerst huschen wir mal hierhin, mal dorthin. Trödeln rum. Vor Nikiana, wo der Bus nach Lefkada Stadt gleich neben dem Häfchen hält, ist der Ankergrund gut und das Meer erstaunlich sauber. In Órmos Desimou tüftelt mein Käpt´n am Wassermacher. Obwohl die Bucht nach Süden offen ist, rollt bei Südwind wenig Schwell rein.  Das gibt ´ne lütte Höhle mit Strand drin, und ´nem Schrein für den heiligen Nikolaus. Zwei Campinglätze, ´n Imbiss und drei Restaurants drängen sich an den Strand. Is´ aber trotzdem gemütlich. Und Wasser machen wir nun mit Solarenergie.

In Órmos Rementinoú, an der Ostküste von Meganisi, lieg ich zum ersten Mal an einer Landleine. Die Olivenbäume wachsen hier auf Terrassen bis ans Ufer. Eine Amantis landet auf meinem Deck. Dabei können Gottesanbeterinnen kaum fliegen! In Katomeri, ´ne Viertelstunde den Berg hoch, hängt ein Bild von Che Guevara an einem Haus.

Von Meganisi nach Ithaka segeln wir hart am Wind. Der kommt von der offenen See. Legt zwischen Kephalonia und Lefkada ´n Zahn zu. Um Nisos Atakos, mitten auf unserem Weg, kommen wir im Norden nicht rum. Meine Crew öffnet die Segel. Refft eilig vorm Südkap des Inselchens.  Von da husche ich direkt nach Órmos Sarakiniko rein. Eine Landleinenbucht. Aber die Nahia ist schon da, und ihr Käpt´n hilft. Diesmal krieg ich zwei Leinen, wie sich das gehört.

Die Kapitänin von der Nahia weiß, wo mit Fallböen zu rechnen ist. Auf dem Weg von Órmos Ateos nach Vathy sind die Berge am Westufer ´ne Windrutsche. Bis in die Hauptstadt von Ithaka rein fegen die Böen. In der Bucht von Vathy suchen wir Schutz zwischen Festland und Lazarettinselchen. Ab Mittag trudeln Flotillen ein. Andere Boote auch. Bald ist Platzmangel. Ein französischer Katamaran liegt viel zu nah bei. Mein Käpt´n ruft rüber. Zeigt, wo unser Anker liegt. Dem Käpt´n vom Kat schein das eins. Mit ´ner italienischen Yacht das gleiche Spiel. Ihre Crew lädt zum Gin Tonic ein. Is ja nett. Aber meine Crew hat sich landfein gemacht. My boat is made of steel, sagt mein Käpt´n. Take care of yours. Genau. Mir kann so´n Yoghurtbecher nix anhaben.

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Ithaka gilt als die Heimat von König Odysseus. In Lefkada und Kephalonia schürt man Zweifel. Homers Epos beschreibe eine Landschaft, die nicht zu Ithaka passe. Die Odyssee ist die Mutter aller Heldenreisen! Kalypso, Kyklopen, Sirenen. Der Hades, Agamemnon, der trojanische Krieg. Selbst ich hab´ da schon von gehört! Odysseus war schließlich ein Seefahrer. Musste gegen Poseidons Stürme ankämpfen. Reisender kommst du nach Ithaka… Seit wir nach Hellas aufgebrochen sind, klingelt meiner Steuerfrau dieser Satz im Ohr. Da ist aber nicht Homer für verantwortlich, sondern Konstantinos Kavafis.

ITHAKA

Brichst du auf gen Ithaka

so wünsch dir eine lange Fahrt

voller Abenteuer und Erkenntnisse

Die Lästrygonen und Zyklopen

den zornigen Poseidon fürchte nicht

solcherlei wirst du auf deiner Fahrt nie finden

wenn hochgesinnt dein Denken

wenn edle Regung deinen Geist und Körper anrührt

Den Lästrygonen und Zyklopen, dem zornigen Poseidon

wirst du nicht begegnen

falls du sie nicht in deiner Seele mit dir trägst

falls deine Seele sie nicht vor Dir aufbaut

so wünsch dir eine lange Fahrt

der Sommer Morgen mögen viele sein

da du, mit welcher Freude und Zufriedenheit

in nie zuvor erblickte Häfen einfährst

halt ein bei Handelsplätzen der Phönizier

die schönen Waren zu erwerben

Perlmutter und Korallen, Bernstein, Ebenholz

erregende Essenzen aller Art

so reichlich du vermagst, erregende Essenzen

besuche viele Städte in Ägypten

damit du von den Eingeweihten lernst und wieder lernst

Stets halte Ithaka im Sinn

Dort anzukommen ist dir vorbestimmt

Jedoch beeile deine Reise nicht

Besser ist, sie dauere viele Jahre

und alt geworden lege auf der Insel an

nun reich an dem, was du auf deiner Fahrt gewannst

und ohne zu erwarten, dass Ithaka dir Reichtum gäbe

Ithaka gab dir die schöne Reise

Du wärest ohne es nicht auf die Fahrt gegangen

Nun hat es dir nicht mehr zu geben

Auch wenn es sich dir ärmlich zeigt

Ithaka betrog dich nicht

So weise, wie du wurdest, und in solchem Maß erfahren

wirst du ohnedies verstanden haben

was die Ithakas bedeuten


Konstantinos Kavafis
Lobsty

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Glossar

in die Puschen kommen – in die Gänge kommen, sich aufraffen (Norddeutsch)

seut – süß

Euböa – zweitgrößte Insel Griechenlands (nach Kreta). Liegt im Westen der Ägäis.

´n büsch´n  – ein bisschen

SuP – Stand up Paddleboard, d.h., Steh-Paddelbrett. Das Stehpaddeln hat sich aus dem Surfen entwickelt. Anfangs wurden Surfboards, Longboards u.ä. aus dem Wellenreiten verwendet, vor allem auf Hawaii. Seit der Erfindung der aufblasbaren Paddelbretter hat sich das Stehpaddeln zu einem weit verbreiteten Freizeitsport entwickelt.

A happy wife is happy life – glückliche Ehefrau, glückliches Leben

Aiolus – Gott des Windes

baumt das Groß aus – auch: Bullenstander setzen. Beim Segeln vor dem Wind  laufen viele Yachten leicht aus dem Ruder. Baumt man das Großsegel aus, steht es in einem Winkel von 70 bis 85 Grad. Das Boot lässt sich besser steuern.

Schmetterlingsegeln –  das Großsegel steht zur einen, das Vorsegel zur anderen Seite.

ihm is´ das eins – das ist ihm egal (Norddeutsch)

Kanal 72  –  Hat man mit einem anderen Boot keinen Funkkanal vereinbart, kann man es über Kanal 16 rufen, wechselt  jedoch sofort die Frequenz. Denn Kanal 16 ist die UKW-Frequenz für Notrufe und dringliche Mitteilungen. Der Seewetterbericht oder die navigatorischen Warnungen werden hier mit dem Verweis auf andere Sendefrequenzen angekündigt.

Nahia. Nahia. Nahia. This is sailing vessel Flying Lobster. Flying Lobster. Over.  –  Funkprotokoll. Der Name des Schiffes, das man ruft, wird zwei- bis dreimal genannt. Dann der Name des Schiffes, das ruft. „Over“ meint, dass die Rufende auf Antwort wartet.

Nahia – der Wunsch (Baskisch)

Törn –  Segelausflug (Norddeutsch)

Nisos – Insel  (Griechisch)

Órmos – Bucht (Griechisch)

Bammel – Angst

schwojen – Beim Ankern stellt sich der Bug des Bootes in den Wind. Ist der Wind stark genug, spannt sich die Ankerkette. Um den Fixpunkt herum, an dem sich der Anker eingegraben hat, kann ein Boot einen Kreis von 360 º Grad beschreiben.

siebzig Meter Kette – Nicht nur der Anker hält ein Boot am Platz, sondern auch der Teil der Kette, der  am Meeresboden liegt. Um zu berechnen, wie viel Kette beim Ankern raus gelassen werden sollte, multipliziert man die Wassertiefe mindestens mal drei. Je mehr Kette am Boden liegt, umso geringer ist die Gefahr, dass der Anker beim Schwojen aus dem Grund gerissen wird. Bei viel Wind oder starkem Schwell bedeutet daher mehr Kette mehr Sicherheit.

slippen –  der Anker löst sich und rutscht über den Meeresgrund

Windy  – Wetter App. Vor allem fürs Segeln und Windsurfen

Konverter – wandelt 12 V Gleichstrom in 220 V Wechselstrom um. Die Hochdruckpumpe von Lobstys Wassermacher ist ein kleiner, kostengünstiger Hochdruckreiniger. Dieser benötigt 220 V.

Pfeffersack – ursprünglich verächtliche Bezeichnung für Kaufleute der Hanse, die im Mittelalter aus Übersee Gewürze importierten. Meint eine rücksichtslose Person, die durch Machthunger und Geldgier zu Reichtum gekommen ist.  Onassis baute u.a.  Mitte des 20. Jahrhunderts die weltgrößte private Walfangflotte auf und verkaufte diese 1956 an Japan.

Klönschnack Schwätzchen

Lise – Little Secret

Schwell – von „swell“ (Englisch).  Meint Dünung, also Wellen, die nicht durch den aktuellen Wind aufgebaut werden, sondern in einem anderen Gebiet oder zu einem anderen Zeitpunkt entstanden sind. Kann auch durch ein vorbeifahrendes Schiff verursacht sein.

lütt – klein

hart am Wind – Auch hoch am Wind oder gegen an. Je nach Bootstyp muss der Wind mindestens in einem Winkel von 25 bis 90 Grad in die Segel treffen, damit Vortrieb entsteht. Lobstys kleinster, segelbarer Windeinfallwinkel liegt bei etwa 30 Grad.

reffen – Segel durch Einholen verkleinern, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten

Katamaran, kurz Kat – Boot oder Schiff mit zwei Rümpfen, die fest miteinander verbunden sind

 My boat is made of steel. Take care of yours. – Mein Boot ist aus Stahl. Pass auf deins auf.

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Maskottchen ist gebacken

Cool! Ich hab´ ein Maskottchen. Geschaffen hat es eine Künstlerin aus Uruguay. Eugenia Assanelli. Als Segelyacht kann ich ja auf der See dahinfliegen. Am besten unter vollen Segeln, und anständig getrimmt. Mein Alter Ego macht das mit dem Fliegen anders.

Endlich is´ meine Steuerfrau in die Puschen gekommen. Nu´ denn, gut Ding will Weile haben. So wie das Brot, dass mein Käpt´n bäckt. Den Sauerteig füttern, damit er bereit ist, wenn er auf Mehl und Wasser trifft. Teig kneten. Ihn gehen lassen. Schön warm muss der das haben! Dann mehrmals falten. Einen Brotlaib formen. Wieder ruhen lassen. Ofen vorheizen. Brot rein. ´Ne Tasse Wasser ins untere Blech schütten. Ofentemperatur und Garzeit müssen stimmen. 

Backen kann mein Käpt´n alleine. Ein paar Stunden, und ein knuspriges Brot duftet verlockend.  Zeichnen kann meine Steuerfrau nur bedingt. Da hat Eugenia Talent. Richtig seut  is´ mein gemaltes Gegenstück geworden. Mein Name beflügelt ja auch die Phantasie. Flying Lobster. Fliegender Hummer.

Lobsty auf Wolke am Rumpf, das hätte mir gefallen. Aber als Stahlschiff muss ich ab und an gestrichen werden. Dann wär´ das schöne Bild wieder weg. Also hab ich eine Fahne bekommen. Und die liegt nu´ seit Wochen unter Deck. Frag´ mich, ob das diesen Sommer noch was wird mit dem Hissen.

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Einmal Malta… und dann Hellas

Warten auf den Mistral

Que meraviglia! Wir sind unterwegs. Haben prima Wind.  Meistens jedenfalls. Als Sophie, die Tochter vom Käpt´n, Ende Juni in Cagliari ankam, blies der Mistral munter und wir mussten gegen an, um sie abzuholen. Mir hat das ja Spaß gemacht! Aber meine Crew war´n büsch´n aus der Übung. War ja zehn Monate her gewesen, dass die beiden mich zum letzten Mal gesegelt hatten.

Den Winter hab ich wieder in der schnuckeligen Marina von Santa Maria Navarrese verbracht.  Zum Glück hat mich die Crew von meiner Freundin Nahia öfter besucht. Sie haben meine Leinen gecheckt, vor allem wenn Sturm angesagt war. In die Bilge geschaut und was noch so anlag. Und ab und an in den Werkzeugkisten vom Käpt´n rumgestöbert.  Hab´ mich immer gefreut, wenn sie fündig geworden sind. Auch die Käpt´ns von der Orion und von der Seawitch kamen mal vorbei. Ich war dann aber trotzdem bannig froh, als meine Crew endlich wieder an Bord war. Ende März war´s natürlich noch klamm in den Kojen.  Aber mit dem lütten Heizlüfter wurde das bald kuschelig unter Deck. Und für die Plicht gibt das ja die Kuchenbude.

Über zwei Monate lang hat meine Crew an mir rumgepusselt. Das brauchte ich man aber auch! Unter anderem ist mein Getriebe nu´ überholt,  achtern hab ich ´ne höhere Reling aus Edelstahl mit schwenkbaren Solarpaneelen dran und meine Genua ist repariert. Und mein Beiboot hat ´nen Überzug bekommen! Der griechischen Sonne eilt nämlich der Ruf voraus, dass PVC ihr nicht lange standhält.

Ach Hellas! Was bin ich gespannt! Der Meltemi, der Nordostwind, der die meiste Zeit des Jahres in der Ägäis vorherrscht, ist unter Seeleuten berüchtigt. Aber wir wollen ja erst mal ins Ionische Meer, das liegt auf dem Weg. Ich hab reichlich Proviant an Bord und meine Tanks sind voll. Noch sind wir in sardischen Gewässern. Ankern vor Porto Pino. Die Lady M ist mit ihrem Käpt´n André aus Carloforte hergeschippert und liegt neben mir. Gemächlich schaukeln wir vor uns hin und genießen beim Schwojen den Ausblick. Mal auf die Dünen, hinter denen sich weitläufige Lagunen verbergen, die von Flamingos und Reihern bewohnt sind. Mal auf den Pinienwald am Kap und den Kanal mit den lütten Fischerbooten, der nach Porto Pino führt.  Der Sand  ist hier so hell, dass das Meer bei ruhigem Sommerwetter schimmert wie ein Türkis. Da macht das denn auch nix, wenn wir vielleicht etwas länger auf den richtigen Wind warten müssen.  Und der Mistral ist ja zuverlässig. Früher oder später wird er kommen. Und mich von schräg achtern Kurs Südost schieben. Raumer Wind heißt das in der Seeleutesprache. Und wenn er wie üblich anständig  bläst, hab ich dann auch ´ne feine Welle aus der gleichen Richtung. Freu mich schon auf´s Surfen!

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Wenn Rasmus wohlgesonnen ist…

Was für ein wunderbarer Segelwind! Kaum sind wir um die Südwestspitze von Sardinien rum, geht das los. Im Schutz der Insel gleite ich ruhig und geschwind dahin. Komme sogar immer wieder ins Surfen. Doch dann haben wir Kreuzsee vom Feinsten. Denn der Mistral teilt sich gern, wenn er aus dem Löwengolf heranweht. Im Westen von Sardinien fegt er die Küste hinab, umrundet die Insel im Süden und wird zu Westnordwest. Zugleich wird er südlich von Korsika in die Straße von Bonifacio abgelenkt, die Meerenge zwischen Sardinien und Korsika. Bläst er stark genug, umrundet er dann die Nordostspitze Sardiniens und wird zum Nordwind. Welle aus Westnordwest trifft also auf Welle aus Nord. Und wenn sie hoch genug ist, und ich schweres Mädchen wie ein Korken auf ihr tanze, nennen Seeleute das „Waschmaschine“.

Fast zwei Tage lang traut meine Crew sich nich´ mal mehr, das Brotmesser in die Hand zu nehmen. Eigentlich wollten wir ja bei den Egadischen Inseln, im Nordwesten von Sizilien, einen Stop einlegen. Da rauschen wir aber dran vorbei und lassen Favignana an Backbord liegen. Vor Anker in ´ner Bucht dort hätte meine Crew sicher keine ruhige Nacht. Die beiden überlegen, was es zum Abendessen geben könnte, denn sie haben mittlerweile die große Schüssel Reissalat und die Kartoffeltortilla aufgefuttert. Da wird das doch tatsächlich auf einmal ruhig genug, um ein paar Stullen zu schmieren. 

Meine Ruthie hat Steuerwache, und ich gleite bei über zwanzig Knoten von achtern so elegant dahin, dass sie Papier und Stift holt. Glücklich hockt sie in der Plicht und macht Notizen. Ab und an wirft sie ´nen Blick auf den Plotter. Kontrolliert, ob der Autopilot alles unter Kontrolle hat. Da knallt eine Böe von über dreißig Knoten in die Genua. Der Autopilot tilt. Er kann nicht schnell genug reagieren. Ich lauf´ aus dem Ruder. Kaum hat meine Steuerfrau ihren Schreibkram ins Schwalbennest gestopft, ist mein Käpt´n zur Stelle und die beiden fahren eine Wende. Das Schreiben lässt die Deern auf Wache nu´ lieber sein.

Wir lassen Sizilien hinter uns. Die Nacht ist mondlos. Horizont und Meer verschwimmen in der Dunkelheit. Als endlich die Sonne über den Horizont lugt, ist Gozo in Sicht, die westlichste Insel des maltesischen Archipels. In weniger als drei Tagen sind wir vom Südwesten Sardiniens hierher gesegelt. Rasmus ist uns wohlgesonnen!

Segeln bei raumem Wind

Glossar

Que meraviglia! – Wie wunderbar! (Italienisch)

Cagliari – Hauptstadt von Sardinien, im Süden der Insel.

Mistral – Nordwestwind, der vom Löwengolf her weht.

bannig – sehr (Plattdütsch)

lütt – klein (Plattdütsch)

raumer Wind – der Wind fällt in einem Winkel von ca. 100 bis 170 Grad in die Segel, sodass diese weit geöffnet werden müssen.

Plicht – auch Cockpit genannt. Bereich des Bootes im Freien, wo sich der  Steuerstand beefindet, meist auch Sitzbänke und ein Klapptisch.

Kuchenbude – Abdeckung der Plicht mit einem Verdeck, das ähnlich wie ein Zelt vor den Cockpitbereich Regen, Wind und Sonne

rumpusseln –  arbeiten, basteln (Plattdütsch)

schwojen – liegt ein Boot vor Anker dreht sich sein Bug in den Wind und die Ankerkette spannt sich. Je nach Windrichtung und -stärke  befindet es sich dann an einem entsprechenden Punkt auf oder innerhalb eines 360 Grad Kreises.

Carloforte – Stadt auf einer dem Südwestzipfel Sardiniens vorgelagerten Insel

Kreuzsee –  die Welle rollt aus zwei Himmelsrichtungen heran

Egadische Inseln – Inselgruppe im Nordwesten von Sizilien

Favignana – größte der Egadischen Inseln

Rasmus – Schutzpatron der Seeleute

Knoten – ein Knoten entspricht einer Geschwindigkeit von einer Seemeile pro Stunde (1 Sm = 1852 m)

aus dem Ruder laufen – eine starke Böe fällt ins Vorsegel und das Boot wird herumgedrückt, bis der Bug im Wind steht und das Vorsegel einfällt . Das Boot lässt sich erst wieder steuern, wenn das Segel getrimmt wird, d.h. es muss so zum Wind stehen, dass es sich strafft.

eine Wende fahren – das Vorsegel (Genua oder Fock) auf die andere Seite bringen, sodass der Bug des Bootes durch den Wind geht. Der Wind bläst von der anderen Seite ins Segel und der Kurs ändert sich -je nach Boot- mindestens um 60 bis 90 Grad.

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Gozo – schroffe Felsen, staubiges Grün

Zur rechten Zeit für ein Mittagsschläfchen fällt mein Anker. Simon von der Nahia hatte uns kurz zuvor die Position einer wunderschönen Bucht geschickt. Die Zufahrt zur Dwejra Bay ist nach Westen offen. Sie führt in ein weites Becken zwischen hoch aufragenden Felswänden. Es gibt ja kaum etwas, das ich so fürchte wie Steilküsten. Aber ich hab‘ hier reichlich Raum zum Schwojen. Und sollte starker Westwind aufkommen, bringt meine Crew mich woanders hin. Da kann ich mich auf verlassen.

Nachts lieg´ ich ruhig wie auf einem Bergsee.  Vor dem Frühstück will meine Steuerfrau allerdings Brot einholen. Mit dem Dinghi schippert mein Käpt´n sie zur nördlichen von zwei schmalen Einbuchtungen im Fels. Im Nu steigt sie eine Treppe hinauf, die zu einem weitläufigen Hang führt. Immer dem Duft der Macchia nach. Thymian. Wilder Fenchel. Garrigues. Agaven ragen zwischen vereinzelten Felsen auf. Von der Sonne verdorrte Kardonien und Bauruinen säumen den Weg.  Ein Mann pflügt sein Feld. Die trockene Erde wirbelt auf und lässt seine Silhouette verschwimmen. Was kämpft er der Erde ab? Kartoffeln, Kapern oder Kohl? Zucchini, Artischocken oder Tomaten? Auf einem anderen Feld stehen Weinstöcke in Reih und Glied. Und auf der Höhe angelangt gibt eine weite Schlucht den Blick auf verstreute Sandsteinbrüche am gegenüber liegenden Hang frei. LKW kommen und gehen, ziehen Staubwolken hinter sich her. Ein Dorf ist nirgends zu sehen.  

Auch in dem lütten Dwejra, das in der Senke hinter dem alten Wachtturm am Meer liegt, gibt das keine Bäckerei. Aber meine Ruthie traut ihren Augen nicht, als auf dem Weg dorthin eine Lagune in Sicht kommt. Umringt von Häusern und einer hohen Steilwand. Die Farbtupfer auf dem dunkel schimmernden Wasser erweisen sich bald als lütte Holzboote, einige der Häuser als Bootsschuppen. Und der schwarze Fleck auf der Felswand als Zugang zum offenen Meer.

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In der Abenddämmerung düst meine Crew mit dem Beiboot los. Nach so ´ner Überfahrt kann man sich schließlich mal ´ne Pizza gönnen. Mehrmals sind die zwei drauf und dran, in eine der vielen Höhlen zu fahren, die Brandung, Wind und Gestein hier in die Steilküste gefressen haben. Was man gut, dass sie jedes Mal noch´n büsch´n weitergschippert sind. Denn die Zufahrt nach Dwejra gleicht einem Tunnel. Sie is´ nicht allzu lang. Lagune und Bootsschuppen sind vom offenen Meer her zu sehen.

Das erste maltesische Abendessen ist köstlich!  Büsch´n arabisch, büsch´n Meze, und ´n Tick britisch. Als die Imqaret mit Vanilleeis verputzt sind, steht eine filigrane Mondsichel über der Lagune. Für den Rückweg durch den Höhlentunnel hat meine Crew natürlich ´ne Taschlampe dabei. Die dient zudem als Positionslicht. Falls man doch mal auf ein anderes Boot trifft in der Nacht.

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Malta – Schmelztiegel der Kulturen

Neben der Hafeneinfahrt von Mgarr, im Südosten von Gozo, lieg´ ich und warte. Ich mag das ja nich´ so gern, wenn meine Crew mich allein lässt. Und denn auch noch an so ´nem viel befahrenen Ort. Aber die zwei wollen sich Victoria anschauen, die Hauptstadt von Gozo im Inselinnern. Und in ´nem Hafen findet sich meist ein Platz, um das Dinghi sicher festzumachen.

Von der Haltestelle am Fähranleger aus braucht der Bus kaum ´ne halbe Stunde nach Rabat, wie Victoria meist von den Gozitanerinnen genannt wird. Wie Weihnachten sieht das da aus. Mitten im Hochsommer! Rote, mit Gold bestickte Banner und Lichterketten schmücken die Straßen. Vor allem entlang der Republic Street, vor Kirchen und auf manchen Plätzen wachen überlebensgroße Statuen von Erzengeln, Heiligen und Kirchenmännern. Einmal am Tag dreht eine Blaskapelle ihre Runden. Und das fast eine Woche lang.

Es ist „Festa“ zu Ehren des Schutzpatrons. „Viva San Gorg!“ verkünden Leuchtbuchstaben auf dem Hügel gegenüber der Cittadella.  Die Festung, die über Rabat thront, wurde auf den Resten einer mittelalterlichen Burg errichtet, als der Johanniterorden Malta in Besitz nahm. Das is´ bannig lang her. Aber das Meer erinnert sich gut. Es raunt mir die Namen all der Völker zu, deren Schiffe im Lauf der Jahrtausende an maltesischen Küsten Krieger ausgespuckt haben. Ganz dun wird mir davon. Phönizier, Römer, Germanen und Araber. Normannen, Staufer, Kastilier und wer nich´ noch alles.  Zuletzt waren es die Briten. Die herrschten hundertsechzig Jahre. Noch heute ist Englisch Amtssprache auf dem Archipel. Neben Maltesisch natürlich, das ich viel melodischer finde.  Es wurzelt ja auch im Arabischen und im sizilianischen Italienisch.

Kaum ist meine Crew wieder an Bord und will den Anker lichten, hab´ ich ein Boot der Hafenpolizei längsseits. Warum wir keine Courtesy Flag gehisst hätten, fragen die Beamten mit ernster Miene. „Wir wollten nach Sizilien. Aber der Wind hat uns hierher geweht. Und Malta ist so schön!“, sagt meine Steuerfrau. „Sowie wir in Valletta sind, besorge ich eine Flagge. Versprochen! Ach, Malta ist so schön!“ Da bedanken sich die Polizisten und schippern winkend davon.

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Auf Valletta sind meine Crew und ich so richtig neugierig. Die kleinste Hauptstadt Europas ist Unesco-Welterbe. Golden schimmern ihre aus Sandstein errichteten Festungsmauern in der Abendsonne. Sie erinnern daran, dass Malteserritter einst von hier aus Jagd auf muslimische Schiffe machten. Überblicken von der Landzunge Monte Sciberras aus den Grand Harbour im Süden und den Marsamxett Harbour im Norden. Wunderbare Naturhäfen mit zahlreichen Einbuchtungen, die die Malteserinnen „Creeks“ nennen. Mehrere Städte drängen sich hier an die Ufer. Sliema, Ta-Xbiex, Gzira, Msida, Hamrun, Floriana, Marsa, Paola, Cospicua, Kalkara – nur ein paar tausend Einwohner hat jede von ihnen.

Es gibt  viele Stellen zum Ankern. Und –ich fass das nich´!– Ankern ist erlaubt! Zwischen der Insel Fort Manoel mittendrin im Marsamxett Harbour und dem geschäftigen Ort Sliema warten sogar verschiedenste Bojen auf einlaufende Boote. Rostige, gelbe Tonnen. Rote Kegel. Blaue Bälle. Werden sie nicht mehr gebraucht? Oder vielleicht nur im Winter genutzt? Keiner kommt kontrollieren oder präsentiert eine Rechnung. Niemand beschwert sich. Sowas hab ich noch nie erlebt! Jetzt im Hochsommer müsste meine Crew anderswo so viel berappen, dass man die zwei Bojen, zwischen denen ich liege, vergolden könnte. Dabei is´ das hier nich´ gerade Badewasser. Aber dafür gibt das gute Einkaufsmöglichkeiten. Für Proviant. Und für Dinge, die ein Segelboot wie ich so an Zubehör und Ersatzteilen braucht. Und der Diesel kostet eins einundzwanzig den Liter! Sechsmal schippert mein Käpt´n mit dem Dinghi unter der Brücke zwischen Fort Manoel und dem Festland durch zur Tanke, weil er nur einen einzigen, leeren zwanzig Liter Kanister hat. Meine Steuerfrau ist unterdessen im Waschsalon. Und abends stopfen die Zwei sich im koreanischen Imbiss mit scharf gewürzten Nudelgerichten voll.

Das Beste aber ist, dass Zika seit einigen Jahren in Sliema wohnt. Der hat mich nämlich innen drin gestrichen. Sechs Schichten. Akkurat. Bis in den hintersten Winkel jedes einzelnen T-Eisens, das meinen Rumpf stabilisiert. War das eine Freude, ihn wiederzusehen! Er kannte mich ja noch ja gar nich´ so, wie ich jetzt bin. Mit Kombüse und Koje. Mit Segel und Rigg. Seetüchtig eben.

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Ein letztes mal Pizza

Um Wind für die Überfahrt nach Griechenland zu erwischen, segeln wir von Malta aus geradewegs gen Norden. Nach Syrakus, an der Ostküste Siziliens. Meine Steuerfrau ruft die Hafenbehörde per Funk und bekommt Koordinaten in der Rada di Sircusa, an denen wir ankern dürfen. Mit Blick auf die Insel Ortygia und die Altstadt von Syrakus, einst mächtigste Polis des antiken Siziliens, heute Welterbe. Pompöse Palazzos, protzige Kirchen und archäologische Fundstätten aus der Zeit hellenischer Herrscher locken Scharen von Besuchern an. In der Hochsaison muss hier jeder, der vom Tourismus lebt, seine Kasse füllen.    „Nepp!“, grummelt meine Ruthie, als sie vom Landgang kommt. „Die haben hier alle Touri-Burnout.“   Nur vom Wochenmarkt war sie begeistert. Hat Gewürzmischung für Spaghetti Aglio e Olio gekauft. Getrocknete Tomaten, wilden Oregano, gesalzene Kapern und Mandarinenlikör. 

Und wieder ist das Beste ein Wiedersehen! Wir treffen Ingrid, die wir in meinem ersten Segeljahr auf Menorca kennengelernt haben. Die Deern passt auf die „Wind“ auf. Der hundertjährige Holzsegler liegt seit Wochen hier vor Anker. Nicht gerade Badeferien für Ingrid, denn zum Schwimmen lädt das Brackwasser in der weiten Bucht nich´ ein. Selbst mein Käpt´n, der sonst einiges abkann, verzichtet darauf.  Dabei is´ das so heiß, dass meine Ruthie nich´ mal das Naturschutzgebiet am Ufer erkunden will. Unglaublich! Wo das doch der einzige Ort Europas ist, an dem Papyrus wächst.

Wir bleiben nur wenige Tage. Ein letztes Mal Pizza, und mein Anker wird gelichtet. Doch da hängt´n halber Schrottplatz dran. Außerdem Netze und altes Tauwerk. Mit Leine, Ankerwinsch, Messer und Geduld macht mein Käpt´n sich ans Werk. Fast ´ne Stunde braucht das, bis wir den ganzen Schiet los sind.

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Zum Kap Spartivento brechen wir am frühen Nachmittag auf.  Mal rausche ich unter Segeln über die See, mal tucker ich mit Motor. Die Silhouette des Ätnas trotzt dem flammenden Himmel. Raucht zahm vor sich hin.

Mein Anker fällt im Morgenlicht. Das Meer ist klar und frisch. Mein Käpt´n macht Wasser. Es ist hier gar nicht so übel. Helle, rundliche Felsen am Ufer. Struppige, schon bräunlich verfärbte Macchia. Baumgrün vieler Schattierungen. Sträucher, und vereinzelt gelb oder weiß blühende Büsche. Schlanke Palmen und junge Zypressen, hinter denen sich Bahngleise und eine Autobahn verstecken. Hier und dort Häuser und wenige Menschen am hellbraunen Kiesstrand. Und keine Strandbar weit und breit, die unsere Bordmusik übertönt.

Die Küste ist offen, und nur nach Norden hin geschützt. Aber wie viele Segelboote rasten wir hier nur über Nacht. Auf dem Weg von Italien nach Hellas, übers Ionische Meer.

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Glossar

Garrigues – mediterrane Strauchheiden

Meze – griechische Appetithäppchen aus Gemüse, Fisch, Fleisch oder Meeresfrüchten

Imqaret – frittierte, mit Dattelmus gefüllte Küchlein

dun – schwindelig (Plattdütsch)

Republic Street – Hauptstraße von Rabat (Victoria)

Courtesy Flag – Höflichkeitsflagge. Boote und Schiffe führen an Steuerbord die Flagge ihres Gastlandes

Rigg (auch Takelage oder Takelwerk) – Der Mast und Tauwerk sowie Drähte (Wanten und Stage), die den Mast halten. Beschläge, Blöcke und alles, was zum Bedienen der Segel notwendig und nicht am Schiff befestigt ist, sondern aam Mast und anderen Elementen des Riggs selbst

Rada von Siracusa – ausgedehnte Bucht vor Syrakus

Ätna – höchster aktiver Vulkan Europas (3357 m)

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