Eins hab ich vermisst diesen Sommer: das Lachen und Kreischen der Möwen. Mein Käpt´n fragt sich, ob diese Spezies in Griechenland heimisch is´, aber hier gibt das doch so viele Fischerboote, denen fliegen Möwen so gerne hinterher. Schon Aristoteles hat Möwen beobachtet, und auch Odysseus soll den Küstenvögeln auf seinen Irrfahrten begegnet sein. Immer wieder wandert der Blick meiner Steuerfrau suchend zum Himmel, oder über die Felsen und Inselchen, auf denen Vögel so gerne rasten.
Mein Käpt´n schaut nach dem Autopiloten, ersetzt die dünnen Originalkabel zur Hydraulikpumpe durch dickere, klemmt anständige Kabelschuhe an. Doch kaum haben wir uns auf den Weg gemacht, steigt der Autopilot wieder aus. Zum Glück bläst der Meltemi, strafft meine Segel und hält mich auf Kurs zum Kap Sounion, wo Poseidon von seinem Tempel aus weit übers Meer blickt.
Nach ´ner beschaulichen Nacht bitten wir den Meeresgott der alten Griechen um Schutz. Aber auf dem kurzen Törn nach Glyfada flucht meine Steuerfrau vor sich hin, das is´ Flaute, sie musste meinen Motor anschmeißen. Drei Strich Backbord, zwei Strich Steuerbord, das Steuern braucht pausenlos volle Aufmerksamkeit, Klönschnack mit dem Käpt´n oder den Wolken hinterher träumen is´ nich´. Als sie kurz auf den Plotter schaut, um Kurs und Geschwindigkeit von ´nem Frachter zu checken, der uns entgegen kommt, lauf ich aus dem Ruder, dabei will ich doch gar nich´nach Afrika. ´N büsch´n Wind hätte Poseidon ruhig schicken können!
In der Bucht von Athen fällt mein Anker vor einem Park mit Restaurantterrassen, bald schaukel ich einsam vor mich hin. Meine Crew hat mein Beiboot vorm Yacht Club festgemacht, will an Land Ersatzteile besorgen, denn auch mein Wassermacher is´ futsch. Kaffee und Tee wird an Bord nu´ mit Mineralwasser gekocht, geduscht wird erstmal nicht.
Der späte September is´ heiß, die Stadtluft abgasschwer und klebrig, das trübe Meer lädt nich´ zum Schwimmen ein. Aber die Nächte sind unterhaltsam: Einmal Hochzeitsfeuerwerk über´m Restaurant, öfter mal Motorradrennen auf der Küstenschnellstraße. Das Geknatter und Geknalle der Maschinen verstummt, wenn rotes Blinken Drohnen verrät, die zwischen den Lichtpunktreihen der Straßenlaternen umherschwirren. Sind wohl Polizeispione, kaum sind sie verschwunden, röhren die Motorräder wieder um die Wette.
Bin froh, als mein Wassermacher repariert ist und ich nach vier Stunden Motorfahrt im Schatten hoher Hügel vor Nisos Aegina liege. Die Insel mitten im Saronischen Golf hat kaum geschützte Buchten, der Schwell holt meine Crew früh am Morgen aus der Koje. Nordwest kommt auf, wir segeln gen Süd, meine Steuerfrau blickt mal wieder sehnsüchtig zum Land, zur Nachbarinsel Nisos Moni, wo Ankern bei Nordwind ungemütlich wäre. Hirsche und Pfauen soll das da geben, wie sind die da bloß hingekommen?
Die neue Hydraulikpumpe is´ in Deutschland bestellt, wir warten im Süden von Nisos Poros, trinken manchmal Kaffee im quirligen Hafenstädtchen gleichen Namens. Mit Blick aufs Festland des Peloponnes liegt Yacht an Yacht römisch-katholisch am kilometerlangen Kai, aber ich döse in Ormos Dhaskalia vor mich hin, vor Landleinen, mit Blick auf einen schmalen Strand. Das Meer ist glatt wie ein Tümpel, manchmal dreht eine einsame Möwe ihre Runden, einmal sehen wir sogar zwei, auf dem Inselchen mit der lütten Kirche. Morgens taucht ab und an ein Kormoran auf, jagt Fische, hier gibt das noch welche.
Skurrile Nachbarn werfen ihren Anker. Ein zweiundfünfzig-Fuß-Katamaran unter US-Flagge, dessen Skipper meint, ich nähme zu viel Platz weg. Er will wohl auch gerne vor dem Strand liegen, wo meine Ruthie das Paddelboard parkt und die Böschung zur Landstraße hochkraxelt. Kaum is´ der Kat weg, kommt ´ne fette Motoryacht, die wie ´ne Wodka Marke heißt. Von morgens bis abends volle Pulle Techno, da steht meine Crew nich´ auf. zum Glück verzieht sich der Freudendampfer nach zwei Tagen, sonst hätte das Weck-Rock zum Fühstück gegeben, ACDC, Highway to Hell. Nu´ kann meine Crew kann das Buchtenleben wieder genießen, und nach neun Tagen warten kommt endlich die neue Hydraulikpumpe.
Der Meltemi erhebt sich früh, auf geht´s zu meinem Winterliegeplatz. Kurz vor Sonnenuntergang segeln wir sechzig Seemeilen weiter südlich um ´ne Landzunge, sind müde, freuen uns auf ´n ruhigen Abend in Palaia Monemvasia. Stattdessen bekommen wir kräftig auf die Mütze. Fallwinde rutschen die Berge am Nordufer der weiten Bucht runter, knallen in meine Segel, bringen mich bannig in Schräglage. Schleunigst holt meine Crew das Großsegel ein und refft die Genua. Trotzdem hab ich immer noch soviel Krängung, dass die Wellen, die der Wind uns vom Ufer her entgegen schleudert, über meine Deckskante klatschen. Nach ´ner viertel Stunde fällt mein Anker und greift beim ersten Versuch. Nachts wird das ruhiger, aber noch vor dem Frühstück huschen wir um die Halbinsel Monemvasia, bestaunen im Vorübergleiten das anderthalb Jahrtausende alte Festungsstädtchen, das sich hinter dicken Mauern an die Felsen drückt.
Moni Emvasia (μόνη εμβασία) bedeutet »Einziger Zugang«, der Ort war lange Zeit eine freie byzantinische Stadt, die vielen Belagerungen standhielt. Fiel dann den Franken in die Hände, den Osmanen, den Venezianern, kurzzeitig sogar einem katalanischen Seeräuber, der die Festung bald den Römern überlassen musste. Bis zum Aufstand der Griechen gegen die Osmanen in den 1820er Jahren nannte man ihn auch „Gibraltar des Ostens“, heute ist Monemvasia ein Freiluftmuseum, in dem ein paar alte Leute die Stellung halten, umringt von Hotels, Wochenendhäusern, Bars, Restaurants und Souvenirläden.
Vor der Brücke zwischen dem Festland und der Halbinsel ist Ankern erlaubt, doch wir legen im kostenlosen Stadthäfchen an, längsseits, mitten am Kai der östlichen Außenmole. Möwen gibt das auch hier keine, trotz der Fischerboote, wenn das nich´ so traurig wäre, würd´ ich mich da ja über freuen. Keine Möwen, keine Möwenkacke.
„Ruthie, komm schnell!“, ruft mein Käpt´n, der achtern an der Reling steht und aufs Wasser zeigt. Meine Steuerfrau sputet sich. Ihr Herz beginnt zu klopfen, als sie die Meeresschildkröte entdeckt. Bannig alt muss die sein, is´ größer als mein Rettungsring. Langsam paddeln ihre kurzen, dicken Reptilienbeine, ihr Panzer ist mit Algen bewachsen. Sie knabbert eifrig an der Kaimauer, arbeitet sich in dem schmalen Spalt zwischen meinem Rumpf und der Mauer voran. Kümmert sich nich´ um meine Crew, die ihr an meine Reling gedrängt folgt, sie nicht aus den Augen läasst, bis sie meinen Bug erreicht hat und davon schwimmt.
Später, am Nachmittag, sieht mein Käpt´n mitten im Hafenbecken zwei Schildkrötenköpfe aus dem Wasser lugen. Meine Steuerfrau ist nach Monemvasia aufgebrochen, wollte zur Oberstadt, wo Reste einer mittelalterichen Burg und eine Kirche stehen. Schaut sicher schon vom höchsten Punkt der Halbinsel zu mir runter, schüttelt den Kopf, weil dieser schöne Ort so viele Kriege erlebt hat. Denn friedlich währt am längsten, das beweisen die Schildkröten, die seit den Zeiten der Dinosaurier die Meere bewohnen.
Die Kapitänin der Nausikaa schickt ´ne Nachricht, fragt, ob wir schon ums Kap Malea rum sind. Dort begann die Irrfahrt des Odysseus, der wollte nur kurz um den Peloponnes rum, nach Ithaka, doch am Kap Malea riss die windgepeitschte See ihn fort. Gen Afrika, zur den Lotusessern auf der Insel Djerba. Odysseus kannte weder Wetterradar noch Wettersatelliten, sonst hätte er das sicher wie die Berufsschifffahrt gemacht, die heutzutage bei Starkwind das Kap Malea meidet und den Umweg um die Insel Kythira in Kauf nimmt. Meine Crew checkt die Windy App und bei ruhigem, klarem Wetter tuckern wir um den sagenumwobenen südlichsten Zipfel des europäischen Festlands.
Noch zwei Ankerpätze, dann werden wir am Ziel sein. In Agios Elena, an der Südküste von Nisos Elafonisos, trifft ein Meer wie Aquamarin auf hellen, von Dünen gesäumten Sandstrand. Wir haben Glück, der Südwest schiebt erst ab drei Uhr morgens Welle in die Bucht, um vier lichten wir den Anker. Umrunden den mittleren Peloponnesfinger, wo am Kap Tainaran die See ´n büsch´n rauer wird. Nehmen Kurs Nordnordwest, auf den ersten Peloponnesfinger zu. Der Wind gibt sich launisch, bläst mal munter, schläft dann wieder ein. Gewitterfronten ziehen uns entgegen, dunkle, bauchige Wolken, manche driften ab nach West, andere nach Ost. Über uns bleibt der Himmel hell.
Ich bin ein wenig wehmütig, als wir mit Blick auf die venezianische Festungsanlage, die Methoni vom Ionischen Meer trennt, die letzten Nächte vor Anker liegen. Das Meer ist klar, das Örtchen beschaulich, gerne würden wir länger bleiben. Doch im nur acht Seemeilen entfernten, kostenlosen Stadthafen von Pylos ist gerade ein guter Platz frei. Freunde, die schon ein Weilchen dort liegen, raten uns, nich´ zu trödeln. Kurz vor Pylos, als wir zwischen der Insel Sfaktiria und dem Leuchtturm in die weitläufige Bucht von Navarino tuckern, sehen wir zum ersten Mal in diesem Jahr einen kleinen Schwarm Möwen.
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Glossar
Aristoteles – beobachtete auch das Aussehen und Verhalten von etwa fünfhundert Tierarten, das er in seinem neunbändigen Werk „Historia animalium“ („Geschichte der Tiere“) beschrieb.
Hydraulikpumpe -ist durch T-Stücke an die beiden Schläuche der Steuerungsanlage angeschlossenund mit dem Kurscomputer verbunden (meist mittels NMEA2000-Schnittstelle), der über die Pumpenaktivität das Ruder bewegt.
Meltemi – in der Ägäis vorherrschender Wind aus dem Nordquadranten
Glyfada – Stadt südlich von Athen an der Westküste von Attika
Plotter – Kartenplotter: Schiffsnavigationsgerät (GPS), das auf einem Display eine eletronische Seekarte anzeigt, auf der Position und Route des Schiffes zu sehen sind. Über das Automatische Identifikations System (AIS) können Schiffe in der Umgebung angezeigt werden, z.T. mit Information zu Kurs, Geschwindigtkeit oder z.B. Schiffslänge. Das Display kann als Radarbildschirm genutzt werden, der Werte anzeigen, die Echolot und Windmesser geben.
Saronischer Golf - Golf im Norwesten der Ägäis, auch Golf von Ägina genannt.
Nisos Aegina – Insel Ägina
Nisos Moni – Insel Moni
Nisos Poros – Insel Poros
Schwell (oder Dünung) -Wellen, die aus ihrem Entstehungsbereich herausgelaufen sind oder von vorbeifahrenden Schiffen verursacht werden, und in einen Hafen oder ein Bucht laufen. Im Gegensatz zur Windsee, die entsteht, wenn der Windd auf die Wasseroberfläche trifft. Schwell + Windsee = Seegang
Verkehrtrennungsgebiet – kanalisiert an Engstellen oder Kaps einen Schifffahrtsweg in unterschiedliche Fahrtrichtungen
römisch-katholisch anlegen – erst den Buganker werfen, dann rückwärts am Kai anlegen und Backbord und Steuerbordleine legen. Die Ankerkette liegt dabei in der Verlängerung der Längsachse des Schiffes oder Bootes.
Ormos Dhaskalia – Dhaskalia Bucht, an der Südküste der Insel Poros
zweiundfünfzig-Fuß-Katamaran – ca. 16m langes Schiff mit zwei Rümpfen, die fest miteinander verbunden sind.
Skipper – verantwortliche Boots- oder Schiffsführerin der Freizetschifffahrt.
Palaia Monemvasia – bucht m Norden der Halbinsel Monemvasia, an der Ostküste des östlichen Peloponnesfingers
bannig – sehr
Krängung – seitliche Neigung eines Schiffs
Nausikaa -befreudnete Segelyacht
Ithaka – griechische Insel im Ionischen Meer, Heimat des Odysseus
Windy App – Wetter App für Segler und SurferInnen
Agios Elena – Bucht der Insel Elafonisos
Nisos Elafonisos – Insel westlich des Kap Malea
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